RVaktuell - Fachzeitschrift und amtliche Mitteilungen
RVaktuell - Fachzeitschrift und amtliche Mitteilungen der Deutschen Rentenversicherung

Die Rechtsprechung des BSG – Entscheidungen aus dem Rentenrecht

RVaktuell 1/2025
Der Beitrag setzt den jährlichen Rechtsprechungsüberblick mit dem Rentenrecht fort und stellt eine subjektive Auswahl der im Jahr 2023 getroffenen Entscheidungen des für dieses Rechtsgebiet allein zuständigen 5. Senats des Bundessozialgerichts (BSG) dar. Die Entscheidungen werden chronologisch aufgeführt.

1. Zur (begrenzten) Aufhebbarkeit von Vormerkungsbescheiden

Vormerkungsbescheide stellen im Versicherungsverlauf gespeicherte Daten, die länger als sechs Kalenderjahre zurückliegen, rechtsverbindlich fest (§ 149 Abs. 5 Satz 1 Sechstes Buch Sozialgesetzbuch – SGB VI). Das hat zur Folge, dass diese Daten im Leistungsfall grundsätzlich zu berücksichtigen sind. In der Entscheidung B 5 R 4/22 R vom 5.4.2023 ging es um die Frage, ob bei der Berechnung der Altersrente des Klägers auch die zuvor in einem Vormerkungsbescheid rechtsverbindlich festgestellten und über die (rechtlich zulässige) Höchstdauer hinausgehenden Daten einer Fachschul- und Hochschulausbildung (§ 58 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 SGB VI) als Anrechnungszeiten zu berücksichtigen sind.

Zur systematischen Einordnung: § 149 SGB VI steht im zweiten Abschnitt (Datenschutz und Datensicherheit) des dritten Kapitels (Organisation, Datenschutz und Datensicherheit) des SGB VI. Vormerkungsbescheide haben in erster Linie eine Beweissicherungsfunktion 1 1 Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Arbeit und Soziales zum Entwurf eines Ersten Gesetzes zur Änderung des Dritten Buches Sozialgesetzbuch und anderer Gesetze, BT-Drucks. 13/8994, S. 69. . Eine Entscheidung über die Anrechnung und Bewertung der im Versicherungsverlauf enthaltenen Daten soll erst bei Feststellung der Leistung erfolgen (§ 149 Abs. 5 letzter Satz SGB VI). Vor dem Hintergrund der (notwendigen) Veränderungs- und Anpassungsfähigkeit des Rentenrechts ist man geneigt zu sagen: aus gutem Grund! Denn zwischen der Feststellung im Vormerkungsverfahren und einem späteren Leistungsfall können Jahrzehnte und zahlreiche Rechtsänderungen liegen. Allein § 58 SGB VI wurde seit Inkrafttreten des SGB VI im Jahr 1992 2 2 Rentenreformgesetz (RRG) 1992 vom 18.12.1989, BGBl. I, 1989, S. 2261. fast zwanzig Mal geändert. Galt z.B. für die Anrechnung von Zeiten schulischer Ausbildung zunächst eine Höchstdauer von sieben Jahren, waren es ab 1997 3 3 Wachstums- und Beschäftigungsförderungsgesetz (WFG) vom 25.9.1996, BGBl. I, 1996, S. 1461. nur noch drei Jahre. Seit 2002 4 4 Altersvermögensergänzungsgesetz (AVmEG) vom 21.3.2001, BGBl. I, 2001, S. 403. liegt die Höchstdauer bei acht Jahren. Vor Inkrafttreten des SGB VI waren Schul- und Fachschulausbildungen jeweils bis zu vier Jahre, Hochschulausbildungen sogar bis zu fünf Jahre anrechenbar (§ 36 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 Angestelltenversicherungsgesetz – AVG 5 5 Die bis 31.12.1996 geltenden Regelungen lebten bis zum 31.12.2004 in § 252 Abs. 4 SGB VI übergangsweise fort. § 252 Abs. 4 SGB VI wurde aufgehoben im RV-Nachhaltigkeitsgesetz vom 21.7.2004, BGBl. I, 2004, S. 1791. ).

Nach der Rechtsprechung des 4. Senats 6 6 BSG, 24.10.1996, 4 RA 108/95. stellte die Höchstdauer einer Anrechnungszeit eine Anrechnungs- und Bewertungsvoraussetzung dar, über die der Rentenversicherungsträger (RV-Träger) im Vormerkungsverfahren gar nicht entscheiden dürfe. Anders als die Absolvierung und der Abschluss der Ausbildung sei die Bestimmung der Höchstdauer kein tatsächlicher Vorgang (der einer Beweissicherung bedürfe). Die Rentenversicherung (RV) richtete ihre Verwaltungspraxis entsprechend aus: Vormerkungsbescheide enthielten u.a. den Zusatz, dass über den Umfang der Anerkennung als Anrechnungszeiten erst im Leistungsfall entschieden werde.

Allerdings hatte der seit 1.7.2021 inzwischen allein zuständige 5. Senat bereits im Jahr 2010 7 7 BSG, 2.3.2010, B 5 KN 1/07 R. entschieden, dass die Höchstdauerbegrenzung der Anrechnungszeit wegen schulischer Ausbildung Teil der Begriffsdefinition bzw. Tatbestandsvoraussetzung dieser Anrechnungszeit sei; dies allerdings im Zusammenhang mit der Gesamtleistungsbewertung im Leistungsfall. Unter Hinweis auf diese Entscheidung hat der Senat am 5.4.2023 nun auch für den zeitlich (zum Teil Jahrzehnte) vorgelagerten Fall der Vormerkung klargestellt, dass die Höchstdauerbegrenzung nicht erst bei der „Anrechnung und Bewertung“ dieser Zeiten im Leistungsfall zu berücksichtigen ist, sondern bereits bei der tatbestandlichen Feststellung dieser Zeiten in einem Vormerkungsbescheid. Verbindliche Feststellungen über die Höchstdauer hinaus seien daher mit den Mitteln des Sozialverwaltungsrechts (insbesondere §§ 45 oder 48 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch – SGB X) aufzuheben.

Auf die mit einer solchen Aufhebung verbunden rechtlichen und praktischen Probleme (insbesondere Fristen) wies der 5. Senat in seinen Urteilsgründen mit deutlichen Worten hin. Es sei aber ungeachtet dessen daran festzuhalten, dass es sich bei einer Vormerkungsentscheidung um einen feststellenden Verwaltungsakt mit Dauerwirkung handelt, der den Versicherten Klarheit über den Stand ihrer Alterssicherung verschaffen soll. Die nachträgliche Änderung bedürfe daher einer gesetzlichen Grundlage, welche die (berechtigten) Interessen der Versicherten nach verlässlicher Information über den Stand ihrer Alterssicherung und diejenigen der Versichertengemeinschaft daran, dass Versicherte nur dem materiellen Recht entsprechende Leistungen erhalten, in einen verhältnismäßigen Ausgleich bringt. Soweit und solange es an einer bereichsspezifischen Regelung fehlt, stünden dafür allein die allgemeinen sozialverwaltungsrechtlichen Vorschriften der §§ 44 ff. SGB X zur Verfügung. Vor diesem Hintergrund ist es nun am Gesetzgeber, eine entsprechende gesetzliche Grundlage für Vormerkungsbescheide 8 8 Z.B. durch eine ergänzende Klarstellung in § 149 Abs. 5 SGB VI. zu schaffen.

2. Keine Kindererziehungszeiten für Beamte

Mit der Einführung von Kinderziehungszeiten in der gesetzlichen RV zum 1.1.1986 9 9 Hinterbliebenenrenten- und Erziehungszeitengesetz (HEZG) vom 11.7.1985, BGBl. I, 1985, S. 1450. wurden zeitgleich auch die Bestimmungen über die ruhegehaltsfähigen Dienstzeiten im Beamtenversorgungsgesetz ergänzt 10 10 Bundeserziehungsgeldgesetz vom 6.12.1985, BGBl. I, 1985, S. 2154. . Bis zum Wegfall der Gesetzgebungskompetenz des Bundes für das Versorgungsrecht der Landes- und Kommunalbeamten am 1.9.2006 11 11 Gesetz zur Änderung des Grundgesetzes vom 28.8.2006, BGBl. I, 2006, S. 2034. verlief die Berücksichtigung der Kindererziehung im Renten- und Versorgungsrecht weitgehend parallel. Elternteile, die während der Erziehungszeit zu den in § 5 Abs. 1 und 4 SGB VI genannten Personen gehörten, also u.a. Beamte, waren von der Anrechnung einer Kindererziehungszeit ausgeschlossen. Die Rechtslage war übersichtlich und klar. Nach Wegfall der Gesetzgebungskompetenz des Bundes hat sich die Berücksichtigung der Kindererziehung im Versorgungsrecht von Bund und Ländern dann aber uneinheitlich entwickelt 12 12 Die Rechtsentwicklung, insbesondere auch zum Besoldungsrecht, ist im Urteil vom 26.7.2023, B 5 R 46/21 R, sorgfältig dargestellt. . Während der Bund die Regelungen der gesetzlichen RV weitgehend nachvollzogen hat, war das z.B. in Nordrhein-Westfalen, wo die Klägerin in dem am 26.7.2023 verhandelten Verfahren B 5 R 46/21 R als Beamtin tätig war, nicht der Fall. Darüber hinaus hat der Rentengesetzgeber auf die Rechtsprechung des 4. und 13. Senats 13 13 BSG, 18.10.2005, B 4 R RA 6/05 R; 31.1.2008, B 13 R 64/06 R. zur Nichtberücksichtigung der Kindererziehung in berufsständischen Versorgungseinrichtungen reagiert 14 14 Vgl. Gesetz zur Änderung des Vierten Buches Sozialgesetzbuch, zur Errichtung einer Versorgungsausgleichskasse und anderer Gesetze vom 15.6.2009, BGBl. I 2009, S. 1939 und Gesetz über Leistungsverbesserungen in der gesetzlichen Rentenversicherung (RVLVG) vom 23.6.2014, BGBl. I, 2014, S. 787. . Die Rechtslage wurde unübersichtlich und komplex.

So auch für die Klägerin in dem Verfahren B 5 R 46/21 R. Diese war seit 1980 in einem privatrechtlichen Arbeitsverhältnis tätig und hatte im März 1981 ein Kind geboren (mit anschließender Erziehung). Ab Februar 1982 bis zum Ruhestand war sie verbeamtet. In der beamtenrechtlichen Versorgung waren keine Anteile für die Erziehung des Kindes enthalten, da dies nach den Vorschriften in Nordrhein-Westfalen nur für die ersten sechs Monate möglich war. In der ab dem 1.1.2018 bewilligten Regelaltersrente wurde lediglich die Zeit der Kindererziehung vor dem Eintritt in das Beamtenverhältnis berücksichtigt. Hiergegen wandte sich die Klägerin mit ihrer Revision und rügte eine Verletzung von § 56 Abs. 4 Nr. 3 SGB VI in der maßgeblichen, ab 1.7.2014 geltenden Fassung. Die in § 56 Abs. 4 Nr. 3 Halbsatz 1 SGB VI genannten Voraussetzungen für einen Anrechnungsausschluss lägen nicht vor, da sie nach ihrem Wechsel in das Beamtenverhältnis und noch „während der Erziehungszeit“ überhaupt keine Versorgungsanwartschaften aufgrund der Erziehung erworben hat.

Zu beantworten war daher (erneut), ob es darauf ankommt, dass „während der Erziehungszeit (tatsächlich konkrete) Anwartschaften auf Versorgung aufgrund der Erziehung erworben“ wurden oder ob es genügt, dass solche Anwartschaften (lediglich abstrakt) im Versorgungssystem vorgesehen sind 15 15 Sog. Einzelfall- oder Systemsubsidiarität, vgl. bereits BSG, 18.10.2005, B 4 RA 6/05 R. . Der 5. Senat hat am 26.7.2023 (ein für alle Mal) klargestellt, dass der in § 56 Abs. 4 Nr. 3 Halbsatz 2 SGB VI normierte Ausschlusstatbestand unabhängig davon greift, ob (überhaupt) und (wenn ja) in welchem Umfang nach beamtenrechtlichen Vorschriften die Erziehung bei der Versorgung zeitlich und finanziell im Einzelfall tatsächlich Berücksichtigung findet. Maßgeblich sei ausschließlich, dass das System der Beamtenversorgung grundsätzlich Leistungen für Kindererziehung vorsieht. Es gelte damit qua gesetzlicher Fiktion als gleichwertig. Das folge aus Wortlaut, Systematik, Entstehungsgeschichte sowie dem Sinn- und Zweck der Vorschrift und halte auch einer verfassungsrechtlichen Prüfung stand. Dem ist nichts hinzuzufügen.

3. Wissenszurechnung des Deutsche Post Renten Service

Geldleistungen, die für die Zeit nach dem Tod der berechtigten Person auf ein Konto bei einem Geldinstitut überwiesen werden, gelten als unter Vorbehalt erbracht (§ 118 Abs. 3 Satz 1 SGB VI). Ob und ggf. von wem die überwiesenen Beträge tatsächlich zurückgefordert werden können und was dabei zu beachten ist, war immer wieder Gegenstand höchstrichterlicher Entscheidungen und gesetzgeberischer Aktivitäten 16 16 Ein Überblick findet sich bei Matlok, Mey, NZS 2017, 530; NZS 2020, 889; NZS 2021, 828. .

In der Entscheidung B 5 R 18/21 R vom 26.7.2023 ging es um die Frage, ob der gegenüber dem Geldinstitut geltend gemachte Rückzahlungsanspruch (§ 118 Abs. 3 Satz 2 SGB VI) bereits verjährt war. Nach § 118 Abs. 4a SGB VI verjährt der Anspruch in vier Jahren nach Ablauf des Kalenderjahres, in dem der RV-Träger Kenntnis von der Überzahlung erlangt hat. Eine positive Kenntnis des RV-Trägers konnte in den Tatsachenverfahren nicht festgestellt werden. Der Tod der Rentenempfängerin war jedoch frühzeitig dem Renten Service mitgeteilt worden.

Die aus dieser Mitteilung folgende Kenntnis des Renten Service hielt der 5. Senat im Rahmen von § 118 Abs. 4a SGB VI für ausreichend. Der Renten Service sei nach der Arbeitsorganisation dazu berufen, im Rechtsverkehr als Repräsentant des RV-Trägers bestimmte Aufgaben in eigener Verantwortung zu erledigen und die dabei anfallenden Informationen zur Kenntnis zu nehmen sowie ggf. weiterzuleiten. Er sei mit originären Aufgaben des RV-Trägers bei der Rentenauszahlung in eigener Verantwortung betraut. Diese folgten aus den §§ 119, 120 SGB VI und der Renten Service Verordnung 17 17 U.a. die Zahlungseinstellung nach Kenntnis vom Tod (vgl. § 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 RentSV), die Rückforderung für die Zeit nach dem Tod zu Unrecht überwiesener Leistungen (vgl. § 16 Abs. 1 Satz 1 RentSV) und die Entgegennahme der zugrundeliegenden Mitteilungen (vgl. §§ 13, 14 RentSV). . Die Kenntnis des Renten Service sei den RV-Trägern daher im Rahmen von § 118 Abs. 4a SGB VI entsprechend § 166 Abs. 1 BGB (Wissenszurechnung des Vertreters) und mit Rücksicht auf Treu und Glauben (§ 242 BGB) zuzurechnen. Ergo: Der Renten Service ist in diesem Fall Wissensvertreter. Diesem Ergebnis stehe auch nicht entgegen, dass der Renten Service in § 118 Abs. 4a SGB VI keine Erwähnung finde. Denn es bestünden keine Anhaltspunkte, dass der Gesetzgeber dem Renten Service einerseits weitgehende Kompetenzen bei der Auszahlung von Renten, deren Überwachung und deren Rückforderung zuweisen wollte, andererseits aber dessen Kenntnis als Wissensvertreter als das die Verjährungsfrist auslösende Moment explizit ausnehmen wollte.

4. Barabhebung am (fremden) Geldautomaten und Auskunftsanspruch

In dem ebenfalls am 26.7.2023 verhandelten Fall B 5 R 25/21 R wurden mittels Geldkarte und Geheimzahl (PIN 18 18 Personal Identification Number. ) des bereits verstorbenen Rentenempfängers Barabhebungen von dessen bei dem beklagten Geldinstitut geführten Konto am (fremden) Automaten eines institutsunabhängigen Geldautomatenbetreibers getätigt. Der klagende RV-Träger verlangte die Rücküberweisung nach § 118 Abs. 3 Satz 2 SGB VI. Hilfsweise machte er einen Auskunftsanspruch nach § 118 Abs. 4 Satz 3 SGB VI geltend, der konkret auf Nennung von Namen und Anschriften der kontobevollmächtigten Personen gerichtet war. Das beklagte Geldinstitut hatte die Rückzahlung verweigert und auch die begehrte Auskunft abgelehnt.

Zur Abhebung an einem institutseigenen Geldautomaten hatte das BSG bereits am 22.8.2008 19 19 BSG, 22.8.2008, B 5a/4 R 79/06 R; vgl. auch BSG, 5.2.2009, B 13 R 59/08 R und B 13/4 R 91/06 R. entschieden, dass ein Geldinstitut nicht zur Rücküberweisung verpflichtet sei, soweit über den Rentenzahlbetrag am (eigenen) Geldautomaten mittels Bankkarte und Geheimzahl verfügt wurde, bevor der Rentenversicherungsträger die Rücküberweisung verlangt. Das gelte auch dann, wenn das Geldinstitut Namen und Anschrift der verfügenden Person nicht benennen kann. Vor diesem Hintergrund war am 26.7.2023 zunächst fraglich, welche rechtliche Bedeutung der Tatsache beizumessen ist, dass ein fremder Geldautomatenbetreiber „zwischengeschaltet“ wurde. Darüber hinaus ging es um die (für die RV-Träger in derartigen Überzahlungsfällen wichtige) Frage der Konkretisierung des Auskunftsanspruchs, der ja die Feststellung des Erstattungspflichtigen ermöglichen soll 20 20 Vgl. Entwurfsbegründung zum Gesetz zur Änderung des Sechsten Buchs Sozialgesetzbuch und anderer Gesetze vom 15.12.1995, BT-Drucks. 13/2590, S. 25. , wenn das Geldinstitut eine Rücküberweisung mit dem Hinweis auf eine anderweitige Verfügung (rechtmäßig) ablehnt.

In Bezug auf die Barabhebung hat der Senat klargestellt, dass es keinen Unterschied mache, ob diese an einem institutseigenen oder institutsfremden Geldautomaten vorgenommen wurde. Anders als bei der Kartennutzung am institutseigenen Automaten hänge die Bargeldauszahlung an einem institutsfremden Automaten zwar davon ab, dass das kartenausgebende Institut die Zahlung gegenüber dem automatenbetreibenden Institut autorisiert. Im vollständig automatisierten Geldautomatensystem könne das kartenausgebende Institut eine Autorisierung in aller Regel aber auch in dieser Fallkonstellation nicht verhindern, wenn eine gültige, nicht gesperrte Bankkarte mit PIN des Karteninhabers zum Einsatz kommt und die sonstigen Anforderungen aus dem Bankkartenvertrag erfüllt sind.

Konnte sich das Geldinstitut demnach rechtmäßig auf den Auszahlungseinwand berufen, war es aber (quasi im Gegenzug) verpflichtet, Namen und Anschriften aller ihm bekannten Personen zu benennen, die zum Zeitpunkt des Todes des Rentenberechtigten über eine Kontovollmacht für das Rentenüberweisungskonto verfügten. Nach § 118 Abs. 4 Satz 3 SGB VI habe das Geldinstitut Auskunft über „etwaige neue Kontoinhaber“ zu erteilen, was sich auch auf diejenigen Personen beziehe, die beim Tod des Rentenberechtigten eine Kontovollmacht für das maßgebliche Konto besaßen. Soweit sich der Auskunftsanspruch auf „etwaige neue Kontoinhaber“ bezieht, sollen mit seiner Hilfe Personen identifiziert werden, die „als Nutznießer der überzahlten Rente“ in Betracht kommen 21 21 Vgl. Beschlussempfehlung zum Gesetz zur Änderung des Sechsten Buchs Sozialgesetzbuch und anderer Gesetze vom 15.12.1995, BT-Drucks. 13/3150, S. 42. . Das Geldinstitut werde durch diese Auskunftsplicht nicht unangemessen belastet. Auch sei der Personenkreis klar begrenzt und eine Nennung ohne eigene Nachforschungen möglich. Erst die weitere Prüfung möglicher erstattungspflichtiger Personen obliege dann (im zweiten Schritt und ausschließlich) dem RV-Träger.

5. Ruhen bei Abgeordnetenentschädigung

Das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) hat bereits im Jahr 1987 22 22 BVerfG, 30.9.1987, 2 BvR 933/82, Rdnr. 162, sog. Beamtenversorgungsbeschluss. ausgeführt, dass es wenig folgerichtig erscheine, bei einem Zusammentreffen von Abgeordnetenentschädigung und -versorgung mit Bezügen aus anderen öffentlichen Kassen von deren Anrechnung abzusehen. Es liege daher nahe, dass der Gesetzgeber, sofern er es bei der bisherigen Konzeption von Entschädigung und Versorgung der Abgeordneten belässt, auch eine Anrechnung von Renten aus der gesetzlichen RV vorsieht. Fünfzehn Jahre hat es gedauert, bis der Gesetzgeber das Ruhen der gesetzlichen Rente bei einem Zusammentreffen mit einer Abgeordnetenentschädigung in § 29 Abgeordnetengesetz – AbgG geregelt hat 23 23 BVerfG, 30.9.1987, 2 BvR 933/82, Rdnr. 162, sog. Beamtenversorgungsbeschluss. . Obwohl die Anzahl der betroffenen Abgeordneten begrenzt ist, hat die Norm immer wieder die Sozialgerichte beschäftigt 24 24 Vgl. nur SG München, 25.7.2012, S 31 R 2590/11; Bayerisches LSG, 27.11.2014, L 14 R 741/12 und L 14 R 457/14; LSG Rheinland-Pfalz, 19.10.2016, L 4 R 188/14; SG Düsseldorf, 27.10.2016, S 20 r 1493/13; LSG Niedersachen-Bremen, 1.6.2017, L 12 R 89/16; SG Nürnberg, 26.3.2018, S 11 R 421/16, LSG Nordrhein-Westfalen, 8.2.2019, L 14 R 728/18. Auch das BSG wurde schon einmal befasst. Die Revision wurde aber als unzulässig verworfen, BSG, 11.9.2019, B 5 R 108/19 B. . Am 18.10.2023 lag § 29 AbgG in der seit 16.7.2014 25 25 Dreißigstes Gesetz zur Änderung des Abgeordnetengesetzes und Dreiundzwanzigstes Gesetz zur Änderung des Europaabgeordnetengesetzes vom 11.7.2014, BGBl. I, 2014, S. 906. geltenden Fassung (Ruhen in Höhe von 50 von Hundert) schließlich dem BSG zur Entscheidung vor.

Der Kläger im Verfahren B 5 R 49/21 R ist Mitglied des (20.) Deutschen Bundestages und Altersrentenbezieher. Seine (Sprung-)Revision richtete sich gegen das Ruhen der Altersrente. Gerügt wurde u.a. eine Verletzung von Art. 14 Abs. 1 und Art. 3 Abs. 1 Grundgesetz – GG. Nach sorgfältiger Prüfung des einfachen Rechts sowie des formellen und materiellen Verfassungsrechts wies der 5. Senat die Revision zurück. § 29 Abs. 2 Satz 2 AbgG stelle eine zulässige Inhalts- und Schrankenbestimmung des grundrechtlich als Eigentum (Art. 14 GG) geschützten Rentenanspruchs dar. Die Vorschrift solle verhindern, dass mehrere Leistungen aus öffentlichen Kassen mit unterhaltssichernder Funktion in vollem Umfang gleichzeitig gezahlt werden. Eine Ungleichbehandlung (Art. 3 GG), etwa gegenüber freiwillig oder privat versicherten Personen, bestehe nicht.

6. Zuständigkeitswechsel im Ausgleichsverfahren nach § 274c SGB VI

Das ebenfalls am 18.10.2023 verhandelte, aber erst am 21.12.2023 ohne mündliche Verhandlung 26 26 Vgl. § 124 Abs. 2 SGG. entschiedene Verfahren B 5 R 3/22 R ist in materiell-rechtlicher Hinsicht zwar wenig spektakulär. Es ist aber mit Blick auf das Verfahrensrecht von Mitteilungswert, weil zwischen dem Ausgangsbescheid der beklagten Deutschen Rentenversicherung Bund und deren Widerspruchsbescheid ein Zuständigkeitswechsel nach § 274c SGB VI zu einem Regionalträger vollzogen wurde, der bei Erteilung des Widerspruchsbescheides (und auch in den Tatsacheninstanzen) unbeachtet geblieben ist. Welche Folgen dieser Zuständigkeitswechsel für die Befugnis zur Erteilung des Widerspruchsbescheides hat, ist juristisch nicht unumstritten 27 27 Vgl. jurisPK, Baumeister, 12.4.2023, SGB X, § 44 Rdnr. 148 m.w.N. .

Der Sachverhalt ist schnell erklärt: Der Kläger war zunächst bei einem kommunalen Spitzenverband (Arbeitgeber 1) und im Anschluss bei einer Gemeinde (Arbeitgeber 2) beschäftigt. Ihm wurde jeweils ein Anspruch auf Versorgung nach beamtenrechtlichen Grundsätzen zugesagt und der Arbeitgeber 2 erkannte gegenüber dem Arbeitgeber 1 die vom Kläger dort abgeleisteten Zeiten als ruhegehaltsfähig an. Dieser erteilte eine Bescheinigung über den Aufschub der Nachversicherung (§ 184 Abs. 2 und 3 SGB VI). Nach dem Ausscheiden des Klägers beim Arbeitgeber 2 erteilte dieser eine Auskunftsbescheinigung (§ 4a Betriebsrentengesetz – BetrAVG), in der die Tätigkeit des Klägers bei dem Arbeitgeber 1 als ruhegehaltsfähige Dienstzeit berücksichtigt wurde. Der Kläger machte dennoch einen Anspruch auf Nachversicherung (mit dem Ziel einer lebenslangen Versorgung nach beamtenrechtlichen Grundsätzen) geltend. Diesem Anspruch blieb in allen Instanzen der Erfolg versagt, weil nach dem Ausscheiden bei Arbeitgeber 1 ein Grund für den Aufschub der Nachversicherung nach § 184 Abs. 2 Nr. 2 1. Alt. SGB VI bestanden hat der Kläger bei Arbeitgeber 2 nicht unversorgt ausgeschieden ist. Materiell-rechtlich war also alles klar.

Fraglich war allein, ob die nach § 274c SGB VI unzuständig gewordene Deutsche Rentenversicherung Bund (Variante A) 28 28 Für ein Fortbestehen der Zuständigkeit im Widerspruchsverfahren u.a. BeckOGK, Becker 1.5.2024, SGG, § 85 Rdnr. 11. oder aber der entsprechend zuständig gewordene Regionalträger (Variante B) 29 29 Für einen Wechsel der Zuständigkeit im Widerspruchsverfahren u.a. Meyer-Ladewig, Keller, Schmidt, 14. Aufl. 2023, SGG, § 85 Rdnr. 2. zur Erteilung des Widerspruchsbescheides befugt gewesen ist 30 30 Zum gesamten Fragenkomplex vgl. auch Hößlein, Verw 40 (2007), S. 281 ff. . Das BSG hat sich unter Hinweis auf eine Entscheidung aus dem Jahr 1976 31 31 BSG, 7.10.1976, 6 RKa 5/76. , die seinerzeit zum Kassenarztrecht ergangen ist und bei der durch eine Rechtsänderung während des Widerspruchsverfahrens die Zuständigkeit von der Ärztekammer auf die Kassenärztliche Vereinigung übergegangen war, für die Variante B entschieden und die daraus resultierenden verfahrensrechtlichen Folgen (Rückverweisung, Beiladung des Regionalträgers, neuer Widerspruchsbescheid etc.) nittels prozessökonomischer Erwägungen gelöst.

Nun dient § 274c SGB VI (im Zusammenspiel mit § 127 SGB VI) aber lediglich der Versichertenverteilung 32 32 Vgl. BT-Drucks. 15/3654, S. 67). . Mit der Organisationsreform am 1.1.2005 haben sich die Struktur und die Zuordnung in der gesetzlichen Rentenversicherung grundlegend verändert. Die überholte Unterscheidung zwischen Angestellten und Arbeitern wurde aufgegeben und ein einheitlicher Versichertenbegriff für die allgemeine Rentenversicherung eingeführt 33 33 Vgl. BeckOk, SozR, Köster, 1.6.2024, SGB VI, § 126, Rdnr. 4. . Der funktionale Unterschied zwischen den RV-Trägern ist mithin ein anderer als derjenige zwischen Ärztekammer und Kassenärztlicher Vereinigung. Ein kleines Gedankenspiel: Wäre der Fall etwas anders gelagert und lediglich zwei Regionalträger betroffen, wäre nur die örtliche Zuständigkeit berührt (§ 128 SGB VI). Ob die Lösung des BSG mit Blick auf die §§ 2 Abs. 2, 40 Abs. 3 Nr. 1, 41 Abs. 1 Nr. 5 SGB X dann eine andere gewesen wäre, bleibt offen.

RVaktuell 1/2025
Die Rentenversicherungsträger (RV-Träger) prüfen bei unmittelbaren Beitragszahlern gem. § 212a Sechstes Buch Sozialgesetzbuch (SGB VI), ob diese ihren Meldepflichten nach § 28a Abs. 1-3 SGB VI i. V. m. § 191 SGB VI und ihren sonstigen Pflichten im Zusammenhang mit der Zahlung von Pflichtbeiträgen zur Rentenversicherung (RV) ordnungsgemäß nachgekommen sind. Bis zur Einführung von Remoteprüfungen (Prüfungen per Fernzugriff) im Juni 2020 wurde vor Ort, in den Räumlichkeiten der Prüfstelle geprüft. Allerdings hält das Remoteverfahren selbst keine Möglichkeit zum Austausch zwischen Prüfstelle und Prüfer bereit. Für die Beantwortung angefallener Fragen oder Nachreichung von Unterlagen muss ein datenschutzkonformer und sicherer Weg gesucht werden.

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