RVaktuell - Fachzeitschrift und amtliche Mitteilungen
RVaktuell - Fachzeitschrift und amtliche Mitteilungen der Deutschen Rentenversicherung

Grundrente und Grundsicherung

RVaktuell 2/2021
Das Grundrentengesetz tariert das Verhältnis von gesetzlicher Rentenversicherung (RV) zu den subsidiären Sicherungssystemen neu aus. Die Bedürftigkeitsprüfung, bisher ein typisches Element der Grundsicherung, wird in abgeschwächter Form in die gesetzliche RV übernommen: Seit 2021 können auch Versichertenrenten der gesetzlichen RV jedenfalls zum Teil vom Einkommen des Rentenbeziehenden und dessen Ehepartnerinnen und Ehepartnern abhängen. Auf der anderen Seite wird ein für die RV typisches Element – die Vorversicherungszeit für eine bestimmte Rentenleistung – auf die subsidiären Leistungen übertragen: Die Höhe der Grundsicherungsleistung hängt künftig auch von Versicherungszeiten in der gesetzlichen RV bzw. vergleichbaren Alterssicherungssystemen ab.

1. Einführung

Der Verabschiedung des Grundrentengesetzes 1 1 Grundlegend zum Grundrentengesetz: Matlok, Schröder, Grundrentengesetz – was ändert sich für die RV, RVaktuell 2020, S. 164ff; Dünn, Bilgen, Heckenberger, DRV 2020, S. 325ff; Brall, Hoenig, Kerschbaumer, Die Grundrente, Bund-Verlag, 2021. ging eine langjährige Diskussion voraus, wie dem befürchteten Anstieg von Altersarmut wirksam und effektiv begegnet werden kann. Während sich einige für mehr Mindestsicherungselemente innerhalb der gesetzlichen RV aussprachen, um langjährigen Geringverdienern den Gang zum Grundsicherungsamt zu ersparen, hielten andere die Ausdehnung der bereits vorhandenen Freibeträge in der Grundsicherung auf Ansprüche aus Pflichtbeitragszeiten in der gesetzlichen RV für vorzugswürdig. Kontrovers diskutiert wurden dabei insbesondere die unterschiedlichen Grundprinzipien von RV einerseits und Grundsicherung andererseits: Grundsicherungsleistungen werden ohne Vorleistungen bei Bedürftigkeit gezahlt. Die Leistungen der gesetzlichen RV hingegen sind grundsätzlich vorleistungsorientiert und vom konkreten Bedarf unabhängig 2 2 Eine Ausnahme bildet nur die Einkommensanrechnung bei Witwen-, Witwer- und Erziehungsrenten nach §97 SGB VI, wobei hier die Unterhaltsersatzfunktion im Vordergrund steht. .

Das Grundrentengesetz wählt nun eine Kombination der beiden Ansätze: Zum einen wird – als ein weiteres Element der Mindestsicherung innerhalb der gesetzlichen RV – ein Zuschlag zur Rente gezahlt, dessen Höhe sich zwar auch an den Vorleistungen in der gesetzlichen RV orientiert, der aber zugleich vom Einkommen 3 3 Anders als bei § 97 SGB VI wird auch das Partnereinkommen berücksichtigt. abhängig ist. Zum anderen gelten künftig in der Grundsicherung für die Prüfung der Bedürftigkeit andere Regeln, durch die das Subsidiaritätsprinzip abgeschwächt wird 4 4 Mit dem Grundrentengesetz werden nicht nur Freibeträge bei der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung, sondern auch beim Wohngeld, bei der Hilfe zum Lebensunterhalt, bei der Grundsicherung für Arbeitssuchende und bei der Versorgung der Opfer des Krieges nach dem Bundesversorgungsgesetz eingeführt. Der Beitrag beschäftigt sich schwerpunktmäßig mit dem Verhältnis von gesetzlicher RV und Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung. . Ob damit das Beste aus zwei Welten zusammengeführt oder eine unverträgliche Mischung geschaffen wurde, wird die Praxis zeigen.

Anders als ursprünglich angedacht garantiert der Grundrentenzuschlag auch bei langjähriger Versicherung nicht ein Einkommen oberhalb der Grundsicherung. Der Grundrentenzuschlag wird individuell berechnet. Die Höhe ist abhängig von den Vorleistungen in der RV und vom Einkommen der Rentenbeziehenden sowie ihrer Ehepartnerinnen und Ehepartner. Da ein gleichzeitiger Bezug von Grundsicherung und Grundrentenzuschlag auch nach Inkrafttreten des Grundrentengesetzes möglich und wahrscheinlich ist, drohte das Szenario: Was von der einen Hand gegeben, wird von der anderen Hand genommen.

Ist der „Gang zum Sozialamt“ trotz Grundrentenzuschlag weiter erforderlich, hätte sich das verfügbare Einkommen der Grundsicherungsberechtigten nicht erhöht, wenn nicht auch die Anrechnungsvorschriften in den subsidiären Sicherungssystemen entsprechend angepasst worden wären. Um diese Rechtsfolge zu vermeiden, wurde in der Grundsicherung und den anderen subsidiären Sicherungssystemen ein Freibetrag geschaffen, der auch Renten der gesetzlichen RV, die auf Pflichtversicherung beruhen, in gewissem Umfang von der Anrechnung auf die subsidiären Leistungen ausnimmt.

Damit durch diese Wechselwirkungen keine Nachteile für die Berechtigten entstehen, müssen Rentenversicherungsträger (RV-Träger) und Grundsicherungsträger eng zusammenarbeiten. Die Regelungen des Grundrentengesetzes sind komplex. Die im Gesetzgebungsverfahren von Sachverständigen eingebrachten Vereinfachungsvorschläge hat der Gesetzgeber nicht aufgegriffen. Die RV hat im Gesetzgebungsverfahren immer wieder darauf hingewiesen, dass für die Anpassung ihrer technischen Programme aufgrund der Komplexität der Regelungen mindestens ein Jahr Vorlauf benötigt wird. Daher kann der erste Grundrentenzuschlag erst Mitte 2021 ausgezahlt werden, obwohl das Gesetz bereits zum 1.1.2021 in Kraft getreten ist.

Das zeitliche Auseinanderklaffen von Inkrafttreten des Gesetzes und Einsatz der technischen Programme bei der RV zur Feststellung des Grundrentenzuschlags führt in der Übergangsphase zu besonderen Problemen und hat auch Auswirkungen auf die Verwaltungspraxis der Grundsicherungsämter. Die aufgrund der Freibeträge höheren Grundsicherungsleistungen können erst dann berechnet werden, wenn klar ist, welche Grundsicherungsberechtigten eine ausreichende Anzahl von Grundrentenzeiten nachweisen können.

Trotz dieser schwierigen rechtlichen Rahmenbedingungen haben RV-Träger und Grundsicherungsträger versucht, für ihre Zusammenarbeit im Rahmen des Grundrentengesetzes eine möglichst verwaltungsarme Lösung zu finden, die Nachteile für die Berechtigten vermeidet. Die Details der Zusammenarbeit werden im Folgenden näher erläutert.

2. Gesetzliche RV und Grundsicherung – ein Überblick über die bisherigen Bezugspunkte

Auch vor Inkrafttreten des Grundrentengesetzes standen gesetzliche RV und Grundsicherung nicht isoliert nebeneinander.

Ziel des vor knapp zwanzig Jahren verabschiedeten Gesetzes über eine bedarfsorientierte Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung war 5 5 Zum 1.1.2003 in Kraft getreten und zum 1.1.2005 als Viertes Kapitel in das SGB XII integriert. , die insbesondere bei Älteren vorhandenen Hemmschwellen bei der Beantragung von Fürsorgeleistungen abzubauen und damit der „verdeckten bzw. verschämten Altersarmut“ entgegenzuwirken.

Um dieses Ziel erreichen zu können, wurden auch die RV-Träger in die Pflicht genommen. Mit § 109a SGB VI wurden den RV-Trägern umfangreiche Informations- und Beratungspflichten in Bezug auf potentiell Grundsicherungsberechtigte auferlegt. Unterschreitet die Rente einen bestimmten Schwellenwert 6 6 Das 27fache des aktuellen Rentenwertes. , erhalten die Rentenberechtigten mit dem Rentenbescheid nicht nur eine Information über die Voraussetzungen der Leistung, sondern auch einen Antragsvordruck für die Grundsicherungsleistung. Wird der Antrag auf Grundsicherungsleistungen beim RV-Träger gestellt, hat er diesen an den zuständigen Grundsicherungsträger weiterzuleiten 7 7 Auf die weiteren Regelungen des § 109a SGB VI zur Zusammenarbeit von RV-Trägern und Grundsicherungsträgern kann an dieser Stelle nicht näher eingegangen werden. .

Weiter intensiviert werden musste die Zusammenarbeit zwischen RV-Trägern und Grundsicherungsträgern dann mit der Änderung des § 82 Zwölftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB XII) 8 8 Die vergleichbare Regelung für das Soziale Entschädigungsrecht in § 25d Abs. 3 b Satz 1 BVG hat für die gesetzliche RV keine praktische Relevanz. zum 1.1.2018. Die neu gefassten Absätze 4 und 5 dieser Vorschrift zielten zwar in erster Linie auf die betriebliche und private Altersvorsorge, für die ein Freibetrag in der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung eingeführt wurde, mit dem zusätzliche Vorsorgeanstrengungen honoriert werden. Einkommen aus einer zusätzlichen Altersvorsorge sind jedoch auch Rentenzahlungen aus der gesetzlichen RV, soweit sie auf freiwilliger Versicherung beruhen. Die Grundsicherungsämter benötigen daher seitdem von den RV-Trägern die Information darüber, welche Rentenansprüche aufgrund freiwilliger Beiträge erworben wurden, um die Grundsicherungsleistungen korrekt berechnen zu können. Der Informationsaustausch zwischen RV-Trägern und Grundsicherungsträgern zur Umsetzung von § 82 SGB XII findet im Wege schriftlicher Einzelanfragen und -antworten statt, was auch bei den RV-Trägern einen nicht unerheblichen Verwaltungsaufwand nach sich zog, auch wenn die Grundsicherungsämter zunächst in eigener Zuständigkeit vorgeprüft haben, ob freiwillige Beiträge zur gesetzlichen RV gezahlt wurden.

3. Neue rechtliche Rahmenbedingungen durch das Grundrentengesetz

Das Grundrentengesetz erfordert nun eine noch engere Zusammenarbeit der RV-Träger und der Grundsicherungsträger.

Nach § 82a SGB XII wird ein Teil der Rente aus der gesetzlichen RV von der Anrechnung auf Leistungen der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung freigestellt. Der Freibetrag wird nur dann gewährt, wenn mindestens 33 Jahre Grundrentenzeiten im Sinne des § 76g Abs. 2 Sechstes Buch Sozialgesetzbuch (SGB VI) bzw. vergleichbare Zeiten in anderen Pflichtsystemen 9 9 Z.B. in der Alterssicherung der Landwirte und in den berufsständischen Versorgungswerken. vorhanden sind. Treffen in einem Kalendermonat Grundrentenzeiten mit vergleichbaren Zeiten aus anderen Pflichtsystemen zusammen, wird dieser Monat nur einmal berücksichtigt. Sofern 33 Jahre Grundrentenzeiten vorhanden sind, wird der Freibetrag auch dann gewährt, wenn kein Grundrentenzuschlag gezahlt wird.

Für die Höhe des Freibetrages gilt § 82a Abs. 1 SGB XII: Bei der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung ist ein Betrag in Höhe von 100 EUR monatlich aus der gesetzlichen Rente zuzüglich 30 % des diesen Betrag übersteigenden Einkommens aus der gesetzlichen Rente vom Einkommen nach § 82 Abs. 1 SGB XII abzusetzen. Der Höhe nach begrenzt ist der Freibetrag auf 50 % der Regelbedarfsstufe 1 nach der Anlage zu § 28 SGB XII; das sind zz. 223 EUR.

Die beiden Freibeträge – § 82 Abs. 4 und 5 SGB XII einerseits und § 82a SGB XII andererseits – werden kumulativ gewährt. Ein Vergleich der beiden Freibetragsregelungen zeigt, dass nur der Freibetrag nach § 82a SGB XII eine bestimmte Vorversicherungszeit in der gesetzlichen RV voraussetzt. Der Freibetrag nach § 82 Abs. 4 und 5 SGB XII honoriert die zusätzlichen Altersvorsorgeanstrengungen unabhängig von einer bestimmten Versicherungszeit im jeweiligen Altersvorsorgesystem. Diese unterschiedliche Ausgestaltung wirft Fragen auf. Während in der gesetzlichen RV praktisch alle Leistungen von einer bestimmten Vorversicherungszeit abhängig sind, ist der Grundsicherung dieses Element bisher fremd. Die Grundsicherung ist bedürftigkeitsgeprüft und soll das Existenzminimum abdecken. Wenn der Gesetzgeber durch die Gewährung eines Freibetrages für Altersvorsorgeanstrengungen eine bestimmte Gruppe von Grundsicherungsberechtigten besser stellt, ist das grundsätzlich nachvollziehbar und sachgerecht. Aber darf die unterschiedliche Behandlung von vergleichbaren Gruppen von Personen in der Grundsicherung damit gerechtfertigt werden, dass die eine Gruppe bei gleicher Rentenhöhe eine längere Pflichtversicherungszeit nachweisen kann? Die Schlechterstellung bei weniger als 33 Jahre Grundrentenzeiten bei der Freibetragsregelung erscheint gerade im Vergleich mit denjenigen Versicherten, die betriebliche und private Altersvorsorge betrieben haben und einen Freibetrag unabhängig von der Versicherungsdauer erhalten, aus verfassungsrechtlicher Sicht zweifelhaft 10 10 So auch Cremer, Armut im Alter: zum Verantwortungsbereich von RV und Sozialhilfe, DRV 2020,127,140f. .

 

4. Verwaltungsseitige Umsetzung der Freibetragsregelung in § 82 a SGB XII

Im Folgenden wird dargestellt, wie sich die Zusammenarbeit von RV-Trägern und Grundsicherungsämtern bei der Umsetzung des Grundrentengesetzes in Bezug auf die Gewährung des Freibetrages konkret gestaltet.

4.1 Ermittlung der Grundrentenzeiten

Zunächst musste für die am 1.1.2021 im Grundsicherungsbezug stehenden Rentnerinnen und Rentner festgelegt werden, wie die Grundsicherungsträger im Einzelfall ermitteln, ob 33 Jahre Grundrentenzeiten vorliegen und der Freibetrag gewährt werden kann. Alle beteiligten Institutionen und das Bundesministerium für Arbeit und Soziales (BMAS) gingen dabei von der Annahme aus, dass die Fürsorgeträger die Grundrentenzeiten nicht selbst ermitteln können, sondern die RV die Grundrentenzeiten bescheinigt. Wegen der komplexen technischen Umstellung im IT-System der RV ist auch das erst ab Mitte 2021 möglich. Zu klären war, ob für diese Gruppe der notwendige Informationsaustausch im Rahmen eines elektronischen Verfahrens vollzogen werden kann, ohne dass die Grundsicherungsberechtigten selbst tätig werden müssen. Ein Informationsaustausch ausschließlich zwischen den Verwaltungen vorausgesetzt, sollten auch Einzelanfragen in Papier wie bei § 82 SGB XII auf jeden Fall vermieden werden. Eine besondere Herausforderung bestand darin, für alle Fürsorgeträger trotz ihrer unterschiedlichen Organisationsformen eine passgenaue Lösung zu finden.

4.2 Grundrentenzeiten für die am 1.1.2021 Rente und Grundsicherung Beziehenden

Unter Vermittlung des BMAS wurde für die bei Inkrafttreten des Grundrentengesetzes zugleich Rente und Grundsicherung Beziehenden (sog. Bestandsfälle) ein elektronischer Anfragedatensatz abgestimmt. Über die für die Anfrage notwendigen Daten verfügt der überwiegende Teil der Grundsicherungsämter bereits aufgrund des quartalsweise durchgeführten Sozialhilfedatenabgleichs. Des Weiteren wurde vereinbart, dass die elektronischen Anfragen der Grundsicherungsträger für Bestandsfälle – möglichst gebündelt über die zentralen Landesstellen – bis Ende April 2021 an die Datenstelle der Rentenversicherung (DSRV) gerichtet werden. Die DSRV hat die bis dahin eingegangenen rd. 1,7 Mio. Anfragen bereits an den jeweils zuständigen RV-Träger weitergeleitet. Nach Einsatz der technischen Programme zum Grundrentengesetz bei den RV-Trägern sollen bis spätestens Ende 2021 alle Anfragen zu den Bestandsfällen beantwortet sein, im Regelfall ohne Einschaltung der Sachbearbeitung der RV-Träger.

4.3 Neuzugänge in der Grundsicherung ab 2021

Für Rentnerinnen und Rentner, die ab 2021 erstmals Leistungen der Grundsicherung beziehen, ist wie folgt zu differenzieren:

Nach Einsatz der technischen Berechnungsprogramme ab Juli 2021 enthalten die Rentenbescheide eine zusätzliche Anlage, in der die Grundrentenzeiten ausgewiesen sind, unabhängig davon, ob 33 Jahre vorliegen oder nicht. Beim Antrag auf Grundsicherung legen – wie bisher – Antragstellende den Rentenbescheid vor und der Grundsicherungsträger kann aufgrund der darin enthaltenen Angaben entscheiden, ob ein Freibetrag zu gewähren ist.

Für Neuzugänge in der Grundsicherung im ersten Halbjahr 2021 können Einzelanfragen an den zuständigen RV-Träger gestellt werden, die wie die Anfragen zu den Bestandsfällen bis Ende 2021 beantwortet werden sollen.

4.4 Neuberechnung der Grundsicherungsleistung für die Bestandsfälle

Wie beim Grundrentenzuschlag, den die RV von Amts wegen prüft, müssen diejenigen Rentenbeziehenden, die Grundsicherung erhalten, in Bezug auf den Freibetrag nicht selbst aktiv werden. Ihre Grundsicherungsleistung berechnen die Grundsicherungsträger rückwirkend zum 1.1.2021 unter Berücksichtigung des Freibetrages von Amts wegen neu, sobald die RV-Träger für sie 33 Jahre Grundrentenzeiten bescheinigt haben. Rentenbeziehende, die erst durch den Freibetrag nach § 82 a SGB XII in die Grundsicherung „hineinwachsen“ 11 11 Nach Angaben des BMAS rd. 70 000 Fälle. , müssen hingegen bei den Grundsicherungsämtern vorstellig werden, um ihre Grundsicherungsansprüche zu sichern 12 12 Näher dazu Hoenig, Kerschbaumer, Wenning, Wie man sich die zusätzlichen Grundsicherungsleistungen in der Einführungsphase sichert, Soziale Sicherheit 2021, S. 63ff. . Denn Grundsicherungsleistungen werden nur im Ausnahmefall rückwirkend gezahlt. Sobald Rentenbeziehende ihren neuen Rentenbescheid mit der Aufstellung zu Grundrentenzeiten erhalten haben, sollten sie diesen ihrem zuständigen Grundsicherungsamt zur Prüfung vorlegen, ob ein Freibetrag gewährt werden kann.

Auch für die Gruppe derjenigen Berechtigten, die ohne Freibetrag bisher keinen Anspruch auf Grundsicherung hatten und die nach Prüfung der Anspruchsvoraussetzungen durch die RV-Träger keinen Grundrentenzuschlag gezahlt bekommen, jedoch über 33 Jahre Grundrentenzeiten verfügen, dürfte in den meisten Fällen sichergestellt sein, dass für sie der Freibetrag in der Grundsicherung von Amts wegen geprüft wird. Denn die überwiegende Zahl derer, die erst durch den Freibetrag in die Grundsicherung hineinwachsen, dürfte zuvor Wohngeld bezogen haben. Somit würde für sie als Bestandsfall im Wohngeldbezug eine Anfrage durch die zuständige Wohngeldstelle bei der RV erfolgen. Lautet die Antwort der RV, 33 Jahre Grundrentenzeiten liegen vor und es besteht somit Anspruch auf den Freibetrag, können auch rückwirkend Grundsicherungsleistungen erbracht werden, wenn die sonstigen Voraussetzungen erfüllt sind 13 13 Vgl. Antwort der Parlamentarischen Staatssekretärin Kerstin Griese vom 14.4.2021, BT-Drucks. 19/28552. .

5. Ausblick

Der Grundrentenzuschlag wird ab Mitte 2021 ausgezahlt werden können. Insgesamt sind knapp 26 Mio. laufende Renten daraufhin zu überprüfen, wie viele Monate an Grundrentenzeiten jeweils vorliegen und ob ein Grundrentenzuschlag zu zahlen ist. Absolute Priorität bei dieser Prüfung haben die Rentnerinnen und Rentner, die Fürsorgeleistungen beziehen. Die RV-Träger werden die zu erwartenden rd. 1,2 Mio. Anfragen der Fürsorgeträger so zügig wie möglich beantworten, spätestens bis Ende 2021, so dass die höheren Grundsicherungsleistungen überwiegend noch in diesem Jahr, spätestens Anfang 2022 gezahlt werden können. Wegen der komplexen technischen Anpassungen wird das Grundrentengesetz für den gesamten Rentenbestand erst Anfang 2023 vollständig umgesetzt sein 14 14 Diesem Umstand trägt § 307g SGB VI Rechnung. . Bis dahin müssen RV-Träger und Grundsicherungsträger alle ihre Kräfte bündeln, um den Berechtigten zeitnah zu ihren Ansprüchen zu verhelfen.

Eine Evaluation des Grundrentengesetzes hat der Gesetzgeber 2025 vorgesehen. Bereits jetzt zeichnet sich ab, dass die Reformdebatte an diesem Punkt weitergeht. Das Zusammenspiel von RV und Grundsicherung ist durch das Grundrentengesetz nicht einfacher geworden. Insbesondere die Einführungsphase wirft einige Fragen auf 15 15 Vgl. die Ausführungen von Hoenig, Kerschbaumer, Wennig, Fn. 12. . Deshalb ist zu vermuten, dass Anspruchsvoraussetzungen und Höhe des Grundrentenzuschlags einerseits sowie der Grundsicherung andererseits mit dem Ziel einer angemessen Versorgung im Alter und bei Erwerbsminderung weiterhin intensiv diskutiert werden.

Ein Eckpunkt künftiger Reformüberlegungen sollte sein, die jeweiligen Ordnungsprinzipen und Versorgungsaufträge von Grundsicherung und RV wieder trennscharf herauszuarbeiten. Gesetzliche RV und Grundsicherung können sich nur dann sachgerecht ergänzen, wenn die jeweiligen Grundprinzipien beibehalten und nicht in systemwidriger Weise miteinander vermischt werden. Die Anrechnung von eigenem Einkommen und von Partnereinkommen auf die Versichertenrente der gesetzlichen RV sollte daher noch einmal auf den Prüfstand. Eine derartige Anrechnung ist ein typisches Element der Grundsicherung. Implantiert man dieses in die gesetzliche RV, droht eine Abwertung der grundsätzlich vorleistungsabhängigen und eigentumsgeschützten Rentenansprüche. Auch bei den ähnlich dem Grundrentenzuschlag ausgestalteten Regelungen – Rente nach Mindesteinkommen 16 16 Art. 82 des RRG 1992 – vom 18.12.1989 – BGBl. I S. 2261. bzw. Mindestentgeltpunkten 17 17 § 262 SGB VI. oder Gutschriften bzw. Zuschlägen bei Erziehung oder Pflege von Kindern 18 18 § 70 Abs. 3a SGB VI. – wird kein Einkommen angerechnet.

Rechtssystematische Überlegungen sprechen ebenso dafür, die jetzigen Freibetragsregelungen in den Fürsorgesystemen zu überdenken. Diese Freibeträge an die Vorversicherungszeit von 33 Jahren Grundrentenzeiten zu knüpfen, wirft im Licht des verfassungsrechtlichen Gleichbehandlungsgebotes Fragen auf. Anders als bei der Vorversicherungszeit für eine bestimmte Rentenart erscheint für die subsidiären Leistungen unter Gleichbehandlungsgesichtspunkten fragwürdig, sie unterschiedlich zu berechnen, je nachdem ob 32 oder 33 Jahre Grundrentenzeiten vorhanden sind.

Im Zentrum aller künftigen Reformanstrengungen sollte im Übrigen stehen, Armut im Alter weiter zurückzudrängen. Bedarf nachzusteuern, zeichnet sich hier insbesondere bei der Grundsicherung ab. Eine aktuelle Studie 19 19 Buslei et al. (2019) Wer bezieht Grundsicherung im Alter? Eine empirische Analyse der Nichtinanspruchnahme, FNA-Journal 4/2019. zeigt, dass Ältere nach wie vor zögern, ihre Ansprüche auf Grundsicherungsleistungen tatsächlich in Anspruch zu nehmen: Von zehn anspruchsberechtigten Haushalten im Rentenalter beantragen durchschnittlich nur vier die Grundsicherungsleistung. Der Studie zufolge würde die Grundsicherungsquote bei Älteren 20 20 Damit wird das Verhältnis der Anspruchsberechtigten zu Nichtanspruchsberechtigten in der Altersgruppe 65+ bezeichnet. von rd. drei auf über sieben Prozent hochschnellen, wenn alle die ihnen zustehenden Grundsicherungsleistungen tatsächlich in Anspruch nehmen würden. Besonders hoch ist die Quote der Nichtinanspruchnahme bei den Personen über 76 Jahren und bei alleinstehenden Witwen bzw. Witwern; je höher das Bildungsniveau umso eher werden Grundsicherungsleistungen beantragt.

Bisher liegen noch keine belastbaren Forschungsergebnisse darüber vor, warum die Grundsicherungsleistungen trotz Rechtsanspruch nicht beantragt werden. Verschiedene Hypothesen werden diskutiert: Unkenntnis, Angst vor Stigmatisierung sowie Abwägung zwischen der Höhe der zu erwartenden Leistung und dem für die Beantragung verbundenen Aufwand.

Auch wenn über die Ursachen noch spekuliert wird, spricht einiges dafür, dass ein weniger komplexer Zugang zu den Grundsicherungsleistungen und eine noch intensivere Zusammenarbeit der RV-Träger und der Grundsicherungsträger die Quote der Nichtinanspruchnahme verringern würde. Das Antragsverfahren für Grundsicherungsleistungen sollte so niedrigschwellig wie möglich ausgestaltet werden 21 21 Cremer, Armut im Alter: zum Verantwortungsbereich von RV und Sozialhilfe, DRV 2020,127,139. .

Der Informationsaustausch der RV-Träger und der Grundsicherungsträger könnte auf Grundlage digitaler Prozesse weiter intensiviert werden. Die Umsetzung des Grundrentengesetzes zeigt aber, dass auf Seiten der Grundsicherungsträger in Bezug auf die Digitalisierung noch großer Nachholbedarf besteht.

Ein sehr weitgehender Ansatz wäre die Prüfung und Auszahlung der Grundsicherungsleistung der RV zu übertragen. Das „One-Stop-Only-Modell“ wurde bereits mehrfach in die Diskussion eingebracht 22 22 Vgl. z.B. CDU Bundesfachkommission Alterssicherung in ihrem Beschlussentwurf Rente vom 19.11.2020. . Nur eine Anlaufstelle zu haben, würde die Schwelle für die Beantragung von Grundsicherungsleistungen vermutlich senken und die „verschämte“ Altersarmut weiter zurückdrängen. Ein Weg wie ihn Österreich mit der Ausgleichszulage geht.

Unter den aktuellen gesetzlichen Rahmenbedingungen wäre das aus Sicht der gesetzlichen RV jedoch kein gangbarer Weg. Die umfassende Bedürftigkeitsprüfung, wie sie in der Grundsicherung vorgesehen ist, kann nur vor Ort von den lokalen Grundsicherungsämtern vorgenommen werden. Nur sie kennen die Verhältnisse in der jeweiligen Kommune, die RV-Träger haben dafür nicht das Knowhow. Außerdem spricht das Argument der verfassungsrechtlich unzulässigen Mischverwaltung gegen diese Lösung 23 23 So bereits Merten, Armutsfeste Alterssicherung und Verfassungsrecht, DRV 2008, 382,389. .

In die Diskussion darüber, ob und ggf. wie die bisher getrennt geführten Antragsverfahren von Rente und Grundsicherung enger als bisher zusammengeführt werden können, wird die RV ihre Praxiserfahrungen einbringen. Eine vollständig digital arbeitende Verwaltung vorausgesetzt, könnte auch ein Modell näher betrachtet werden, in dem die gesetzliche RV für die Rentnerinnen und Rentner nicht nur die Rente, sondern auch die Grundsicherungsleistung auszahlt. Nach diesem Ansatz 24 24 In diese Richtung argumentieren Cremer und Merten, a.a.O. soll die RV als „Frontoffice“ fungieren, die Anspruchsvoraussetzungen für die Grundsicherungsleistungen würden aber nach wie vor beim örtlichen Grundsicherungsträger in eigener Zuständigkeit geprüft werden, einschließlich der Bearbeitung von Widersprüchen und Klagen gegen die Entscheidung über die Grundsicherungsleistung.

Die Diskussion über diesen sehr weitgehenden Ansatz sollte allerdings erst dann ernsthaft geführt werden, wenn die technische Ausstattung der Grundsicherungsämter deutlich verbessert wurde und die sozialpolitischen Wirkungen der Freibeträge sowie des Grundrentenzuschlags einschließlich der Effektivität und Effizienz des dafür entwickelten Verwaltungsverfahrens evaluiert sind.

 

RVaktuell 2/2021
Das Beitragsjahr 2017 war das sechzehnte Jahr, für das eine staatliche Förderung durch die Zulageförderung und/oder durch den Sonderausgabenabzug zum Aufbau einer zusätzlichen kapitalgedeckten Altersvorsorge gewährt wurde. Dargestellt werden die Ergebnisse zum aktuellen Auswertungsstichtag 15.5.2020. Aufgrund des mehrjährigen Zeitraums, in dem die Veranlagung für die Einkommensteuer abgewickelt wird, sind die Ergebnisse zur steuerlichen Förderung für das Beitragsjahr 2017 noch als vorläufig anzusehen, während für die Zulageförderung nach Beendigung des zweijährigen Zeitraums für die Beantragung der Zulagen bis Ende 2019 nunmehr die statistischen Ergebnisse für das Beitragsjahr 2017 nahezu vollständig und überprüft zur Verfügung stehen. Als wichtigstes Ergebnis ist herauszustellen, dass im Beitragsjahr 2017 knapp 11,0 Millionen Personen durch Zulagen bzw. durch den Sonderausgabenabzug gefördert wurden. Das berechnete Fördervolumen beträgt für das Beitragsjahr 2017 rd. 3,903 Mrd. EUR, davon entfallen rd. 2,715 Mrd. EUR auf Zulagen und rd. 1,188 Mrd. EUR auf die zusätzliche Steuerentlastung durch den Sonderausgabenabzug. Von den rd. 2,715 Mrd. EUR an Zulageförderung entfällt etwas mehr als die Hälfte mit rd. 1,401 Mrd. EUR auf Kinderzulagen. Der Beitrag basiert auf den vom Bundesministerium der Finanzen (BMF) im Internet veröffentlichten Auswertungsergebnissen und konzentriert sich auf die Verteilung der geförderten Personen nach wichtigen soziodemographischen Merkmalen. Im Mittelpunkt stehen hier u.a. die geförderten Personen nach der Höhe der maßgebenden Jahreseinnahmen, der Anzahl der gewährten Kinderzulagen, dem Geschlecht und dem Alter. Ergänzend zu den Ergebnissen des Beitragsjahres 2017 werden auch aktualisierte Ergebnisse für das Beitragsjahr 2016 und vorläufige Ergebnisse für die Beitragsjahre 2018 und 2019 betrachtet.

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