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RVaktuell - Fachzeitschrift und amtliche Mitteilungen der Deutschen Rentenversicherung
Reha Veranstaltungen

Hybride Premiere in Münster: 31. Reha-Kolloquium diskutiert neue Wege, neue Chancen der Rehabilitation

RVaktuell 2/2022
Die Digitalisierung, der Umgang mit den Folgen der Pandemie und die sektor- bzw. trägerübergreifende Zusammenarbeit in der Rehabilitation prägten den diesjährigen Kongress für Rehabilitationsforschung. Was für die Ausrichtung der Rehabilitation im Ganzen gilt, galt auch für die Veranstaltung in Münster: ein bedarfsgerechtes Angebot. Kollegialer Austausch vor Ort oder digitaler Wissenstransfer auf Abstand – das 31. Reha-Kolloquium bot beides. 1 400 Anmeldungen, darunter 600 in Präsenz, gaben den Veranstaltenden Recht und beförderten den wissenschaftlichen Diskurs und den Netzwerkgedanken gleichermaßen.

Grußwort

Die Pandemie sei Herausforderung und zugleich Treiber der Innovation, stellte Gundula Roßbach, Präsidentin der Deutschen Rentenversicherung Bund in ihrem Grußwort fest. Sie nutzte die digitalen Möglichkeiten und ließ sich von Berlin aus live in die Eröffnungsveranstaltung im Messe und Congress Centrum Münster zuschalten. Dabei hob Sie die große Bedeutung der Forschung für die Weiterentwicklung der Rehabilitation hervor.

Karl-Josef Laumann, Minister für Arbeit, Gesundheit und Soziales des Landes Nordrhein-Westfalen lobte die Flexibilität heutiger Angebote. Die Rentenversicherung (RV) habe alte Pfade verlassen und sei zu neuen Wegen aufgebrochen, das habe bereits mehr Kundenorientierung gebracht. Sein Appell zur Zukunft der Rehabilitation richtete sich an Praxis, Verwaltung und Politik gleichermaßen: Er wünsche sich, dass Versicherte künftig gar nicht mehr merken, wer denn der Kostenträger ist.

Das Leitmotiv des Kongresses „Neue Wege – neue Chancen“ aufgreifend, empfahl Thomas Keck, Erster Direktor der Deutschen Rentenversicherung Westfalen, in seiner Begrüßung vor Ort, neue Perspektiven auf Basis des Bewährten zu entwickeln. Der Ausbau des Ü45-Check den die neue Koalition anstrebe, sei ein hervorragender Ansatz personenzentrierte Maßnahmen anzubieten. Er gab zu bedenken, dass ein Haltungswechsel nötig sei und forderte selbstkritisch, die RV müsse noch mehr auf die Versicherten zugehen.

Dr. Rolf Schmachtenberg, Staatssekretär im Bundesministerium für Arbeit und Soziales (BMAS), betonte die große Bedeutung der Rehabilitation im aktuellen Koalitionsvertrag. Das Ziel bleibe, in guter Arbeit möglichst lange erwerbstätig zu sein, das trage auch zur Stabilisierung des Systems Rentenversicherung bei, so Schmachtenberg. Er freue sich über das große persönliche und fachliche Engagement in den mehr als 100 Projekten zu rehapro, die das BMAS mit 530 Mio. EUR fördere.

Eine Pandemie und ihre Folgen

Eingeladen hatten die Deutsche Rentenversicherung Bund, die Deutsche Rentenversicherung Westfalen und die Deutsche Gesellschaft für Rehabilitationswissenschaften (DGRW). Dem Organisationsteam sei die Entscheidung zur Form der Veranstaltung schwergefallen, berichtete Dr. Susanne Weinbrenner, leitende Ärztin bei der Deutschen Rentenversicherung Bund und resümierte, „die Entscheidung für ein hybrides Format war eine richtige und gute Entscheidung“. Auch wenn es sich in der Vorbereitung praktisch um zwei Kongresse handle, sei der direkte persönliche Austausch miteinander ebenso wichtig, wie der fachliche Diskurs. Mindestens vier parallele Veranstaltungsstränge zogen sich online und in Präsenz durch den Kongress. Unterbrochen wurde dieser vielfältige Austausch durch Plenarvorträge, wie dem des Präsidenten der Bundesärztekammer, Prof. Dr. Klaus Reinhardt. Der Facharzt für Allgemeinmedizin referierte zu den „Lehren aus der Pandemie zur interprofessionellen Zusammenarbeit im Gesundheitswesen“. Er forderte mehr interprofessionelle Zusammenarbeit zwischen Ärzteschaft, Pflege und Sozialer Arbeit. Der Stellenwert dieser Zusammenarbeit und der Digitalisierung müsse auch in der ärztlichen Ausbildung gestärkt werden. Außerdem wünschte sich der in Bielefeld praktizierende Facharzt mehr direkte Kommunikation mit den Nachversorgenden, um die Zeit nach einer Reha optimaler im Sinne der Patientinnen und Patienten zu gestalten. Die Themen der Pandemie- und Pandemiefolgenbewältigung waren auch abseits des Plenarvortrags von großem Interesse –  darin waren sich Präsenz- und Onlineteilnehmer offenbar einig.

Digitalisierung im Gesundheitswesen

Die Digitalisierung im Gesundheitswesen war das zweite übergreifende Thema, das sich durch zahlreiche Veranstaltungen zog  – zentral aufgegriffen wurde dieses im Plenarvortrag von Prof. Dr. mult. Eckhard Nagel: „Rehabilitation 4.0: Medizin und Digitalisierung verantwortungsvoll gestalten“. Der Transplantationschirurg, Medizinethiker und Geschäftsführende Direktor am Institut für Medizinmanagement und Gesundheitswissenschaften an der Universität Bayreuth, beschrieb die Transformation zu einer Rehabilitation 4.0. Die Ausrichtung der Prozesse im Gesundheitswesen am Lebenslauf bzw. Datenverlauf sei nicht mehr konstitutiv und ausschließlich an Diagnose und Therapie im Einzelbehandlungskontext gebunden. In Zukunft würden den Bereichen Prävention und Rehabilitation dadurch völlig neue Perspektiven eröffnet. Damit sei eine Transformation der Rehabilitation und Rehabilitationsforschung verbunden. Diese gelte es zu gestalten. Dabei sei die Orientierung an klassischen medizinischen Erkenntnissen naheliegend. Die Gestaltung der Zukunft setze Enthusiasmus, aber in gleicher Weise Vernunft voraus

Forschungsschwerpunkt „Weiterentwicklung der beruflichen Rehabilitation“

Das Reha-Kolloquium 2022 stellte gleichzeitig die Auftaktpräsentation zu einem trägerübergreifenden Forschungsschwerpunkt der Deutschen Rentenversicherung dar. Um das Wissen und die Erkenntnisse zu qualitativ hochwertigen und effektiven Strukturen in der beruflichen Rehabilitation zu erweitern, wurden zehn Forschungsprojekte mit einem Fördervolumen von 4,5 Mio. EUR zur Förderung ausgewählt, sie laufen bis zu fünf Jahre und werden durch die RV eng betreut. In einer Podiumsdiskussion wurde die wissenschaftliche, praktische, aber auch politische Bedeutung des neuen Forschungsschwerpunkts beleuchtet und ein Ausblick auf die Effekte des Forschungsschwerpunkts auf die Praxis der beruflichen Rehabilitation gewagt.

Die Zukunft der Rehabilitation unter der Ampelkoalition

„Wandel, Wunsch und Wirklichkeiten. Die Zukunft der Rehabilitation und ihre Herausforderungen durch Gesellschaft und Politik“ – so lautete das Motto einer Podiumsdiskussion, zu der Fachpolitiker unterschiedlicher Bundestagsfraktionen nach Münster geladen wurden. Im Mittelpunkt der Diskussion stand der von der neuen Bundesregierung im Koalitionsvertrag gesetzte Handlungsrahmen. Brigitte Gross, Direktorin der Deutschen Rentenversicherung Bund, begrüßte den Koalitionsvertrag ausdrücklich. Die Koalition stärke damit die Rehabilitation und die Prävention. „Darauf können wir gut aufbauen“, so Gross, besonders auf dem Grundsatz „Prävention vor Reha, Reha vor Rente“.

Absage an starres Reha-Budget

Einigkeit herrschte auch weitgehend in der Frage des Budgets. Markus Kurth, rentenpolitischer Sprecher der Faktion Bündnis 90/Die Grünen, forderte, das Reha-Budget müsse angesichts der Veränderungen in der Arbeitswelt bedarfsgerecht ausgestaltet sein. „Wenn das Reha-Geschehen dynamisch ist, dann kann auch das Budget nicht statisch sein, sondern nur ebenfalls dynamisch“, so Kurth. Martin Rosemann, arbeitsmarkt- und sozialpolitischer Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion, pflichtete dem bei. Er könne sich zwar auch andere Steuerungsmöglichkeiten vorstellen, man brauche aber eine „Orientierungslinie“.

Lob für den Koalitionsvertrag gab es auch von der politischen Opposition. Matthias W. Birkwald, rentenpolitischer Sprecher der Fraktion Die Linke, begrüßte, dass sich die Stärkung der Prävention vor Reha auch im Koalitionsvertrag wiederfindet. Zum Reha-Budget fragte Birkwald allerdings kritisch, was denn bedarfsgerecht sei. Ein Deckel widerspreche dem Rechtsanspruch auf Qualitäts-Reha. „Nicht an Reha sparen, Reha spart Folgekosten“, appellierte der Linken-Politiker. Er forderte eine Abkehr von der trägerbezogenen Kostenbetrachtung. Man müsse den volkswirtschaftlichen Produktivbeitrag sehen, auch wenn das Reha-Budget mal überschritten wird.

Mehr als Verhinderung der Erwerbsminderung

Rosemann machte deutlich, dass er noch Handlungsbedarf bei den Reha-Trägern sehe. Der SPD-Politiker betrachtet die Reha auch als arbeitsmarktpolitisches Instrument. „Die Zielsetzung muss breiter sein, als einfach nur Erwerbsminderung zu verhindern“. Die Träger müssten das Gesamtbild betrachten und die Kooperation untereinander ausbauen. Es gebe ein Kooperationsdefizit zwischen Arbeitsagentur und RV. Sein Vorschlag: ein Fallmanagement. Ziel müsse die nachhaltige Integration in den Arbeitsmarkt sein. „Alle müssen in die Verantwortung genommen werden“. Kurth kritisierte in diesem Zusammenhang besonders die Krankenkassen. Psychische Krankheiten würden oft chronisch, weil Behandlungsangebote fehlten. Eine Reha komme dann oft zu spät.

Es brauche mehr Aufklärung der Bürger, appellierte Keck an die Eigenverantwortung der Versicherten für ihre Gesundheit, auch in den Betrieben. „Wir müssen auch die Haltung der Menschen ansprechen und stärker proaktiv auf die Menschen zugehen.“ Keck verwies auf den Ü45-Gesundheitscheck, der bei der Rentenversicherung Westfalen mit Rücklaufquoten von 15% bis 20% gut laufe und den man ausweiten wolle. Gross nannte das niedrigschwellige Präventionsangebot RV Fit, das besonders seit der einfachen Online-Anmeldung sehr erfolgreich sei.

Für die Zukunft wünschte sich Gross von der Politik eine Vereinfachung der Gesetze. Um Menschen einen einfachen digitalen Zugang zu Sozialleistungen zu ermöglichen, müssten Gesetze auch digital umsetzbar gemacht werden.

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