RVaktuell - Fachzeitschrift und amtliche Mitteilungen
RVaktuell - Fachzeitschrift und amtliche Mitteilungen der Deutschen Rentenversicherung

Die Demographische Belastung steigt… aber weniger als in der Vergangenheit! 15. koordinierte Bevölkerungsvorausberechnung: Annahmen, Ergebnisse, erste Folgerungen

RVaktuell 2/2023
„Die gesellschaftliche Alterung wird insbesondere in den Sozialversicherungen zukünftig Finanzierungslücken hervorrufen. Denn während immer weniger junge potenzielle Beitragszahler nachrücken, bewirkt die steigende Lebenserwartung in den kommenden Jahrzehnten einen Anstieg der Personen im Ruhestand und damit einen Anstieg der Leistungsempfängerzahl.“ Solche und ähnliche Darstellungen prägen die Diskussionen um die Weiterentwicklung der Alterssicherung, die derzeit wieder intensiv in der Politik, aber auch in den Medien, in Wissenschaft und Verbänden geführt werden. Die Argumentation ist nicht neu – schon in den achtziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts gab es ganz ähnliche – und in ihrer grundsätzlichen Ausrichtung auch nachvollziehbare – Debatten. Denn der demographische Wandel ist ohne Zweifel eine Herausforderung für die Sozialversicherungen und insbesondere auch für die gesetzliche Rentenversicherung (RV).
Dr. Reinhold Thiede ist Leiter der Abt. GQ 0600 - Forschung, Entwicklung, Stat. der Deutschen Rentenversicherung Bund

1. Beispielloser Anstieg der demographischen Belastung? 1 1 Raffelhüschen, Seuffert; Ehrbarer Staat? Wege und Irrwege der Rentenpolitik im Lichte der Generationenbilanz; in: Stiftung Soziale Marktwirtschaft, Argumente zu Marktwirtschaft und Politik Nr. 148, (2020), S. 4. 2 2 Vgl. für die Diskussion in den 1980er Jahren z. B. den Beitrag „Von der Rentenkrise in die Staatskrise?“, der 1985 in Ausgabe 10 der Zeitschrift DER SPIEGEL. erschien, die den Titel „Renten in Gefahr – die Last wird zu groß“ trug. 1966 wies die Sozialenquete-Kommission der Bundesregierung in ihrem Bericht darauf hin, dass „nach dem Jahr 1975“ ein „Rentenberg“ zu erwarten sei; vgl. Bogs, Achinger, Meinhold, Neudörfer, Schreiber; Soziale Sicherung in der Bundesrepublik Deutschland, Bonn (1966), Rz. 479 ff.

Bis vor kurzem war es dabei noch allgemeiner Konsens, dass mit dem in den kommenden Jah­ren bis ca. 2040 anstehende Rentenzugang der „Babyboomer-Generation“, also der zwischen Mitte der fünfziger und Ende der sechziger Jahre des 20. Jahrhunderts Geborenen, ein bei­spielloser Anstieg der demographischen Belastung einhergehen wird. „In den kommenden zehn Jahren wird sich das Verhältnis zwischen Personen im Ruhestand und Erwerbsperso­nen besonders stark verändern, da die geburtenstarken Jahrgänge in diesem Zeitraum das Regelrenteneintrittsalter erreichen werden.“ 3 3 Raffelhüschen, Seuffert (2020), a.a.O., S. 4 Diese Annahme eines in den kommenden Jah­ren besonders gravierenden Anstiegs der demographischen Belastung legt es nahe, dann auch besonders wirkmächtige, systemische Reformen der Alterssicherung für erforderlich zu halten.

Vor dem Hintergrund der aktuellen 15. koordinierten Bevölkerungsvorausberechnung des Statistischen Bundesamtes muss man allerdings bezweifeln, dass das Narrativ von dem bei­spiellosen Anstieg der demographischen Belastung durch den Rentenzugang der Baby­boomer-Generation die absehbare Entwicklung zutreffend beschreibt. Zwar weist auch die aktuelle Vorausberechnung aus, dass bis 2040 die demographische Belastung zunimmt. Die aktualisierten Zahlen legen aber nahe, dass dieser Anstieg nicht stärker ausfallen wird als demographische Veränderungen in der Vergangenheit – die das Rentensystem weder finan­ziell überlastet noch zu Rentenkürzungen geführt haben.

2. 15. koordinierte Bevölkerungsvorausberechnung:  Modifizierte Annahmen

Die demographische Entwicklung ist im Wesentlichen durch drei Faktoren determiniert: Die Entwicklung von Geburtenzahlen, der Lebenserwartung sowie der Zu- und Abwanderungen. Für Vo­rausberechnungen zur Entwicklung der Bevölkerung und ihrer Altersstruktur müssen Annah­men getroffen werden, wie sich diese drei Einflussfaktoren in Zukunft entwickeln werden. Diese Annahmen orientieren sich zumeist an Entwicklungstrends in der Vergangenheit; in den amtlichen Bevölkerungsvorausberechnungen werden zudem mehrere Szenarien mit un­terschiedlichen Annahmen für die drei Einflussfaktoren berechnet, um unterschiedliche Ent­wicklungsmöglichkeiten aufzuzeigen. In der öffentlichen Diskussion wird dann zumeist auf ein Vorausberechnungsszenario Bezug genommen, in dem für alle drei Einflussfaktoren nicht die extremen, sondern „moderate“ Annahmen verwendet werden.

In der Bundesrepublik Deutschland werden seit 1966 regelmäßig Bevölkerungsvoraus­berechnungen vorgenommen, bei denen die Annahmen sowie die Berechnungsverfahren und -grundlagen zwischen dem Statistischen Bundesamt und den Statistischen Landesämter abgestimmt sind 4 4 Zu den Bevölkerungsvorausberechnungen des Statistischen Bundesamtes vgl. näher: Bretz, Bevölkerungsvorausberechnungen – Statistische Grundlagen und Probleme; in: Wirtschaft und Statistik (1986), S. 233 ff. oder Pötzsch, (Un-)Sicherheiten der Bevölkerungsvorausberechnungen – Rückblick auf die koordinierten Bevölkerungsvorausberechnungen für Deutschland zwischen 1998 und 2015; in: Wirtschaft und Statistik (2016), S. 36 ff. Das Statistische Bundesamt hat auch eine grundsätzliche Erläuterung als Video eingestellt, vgl. https://www.destatis.de/DE/Mediathek/Videos/bevoelkerungsvorausberechnung.html. .

Diese „koordinierten Bevölkerungsvorausberechnungen“ wurden in zu­nächst zweijährigen, seit 1975 in etwas längeren Abständen durchgeführt und umfassten auch einen unterschiedlich langen Vorausberechnungszeitraum. Die 12. koordinierte Bevöl­kerungsvorausberechnung wurde im Jahr 2009 veröffentlicht, die 13. Vorausberechnung im Jahr 2015 und die 14. im Jahr 2019; alle drei umfassten jeweils den Vorausberechnungszeit­raum bis 2060.

Im Dezember 2022 hat das Statistische Bundesamt die 15. koordinierte Bevölkerungs­vorausberechnung 5 5 Vgl. destatisZur Seite vorgelegt. Der Vorausberechnungszeitraum reicht nun bis zum Jahr 2070, also ein Jahrzehnt weiter als bei den vorangehenden Vorausberechnungen. Vor allem aber un­terscheidet sich die aktuelle Vorausberechnung von den vorangehenden Berechnun­gen durch veränderte Annahmen bezüglich der weiteren Entwicklung von Lebenserwartung und Wanderungsbewegungen; diese Annahmen wurden – unter dem Eindruck der tatsäch­lichen Entwicklungen in den vergangenen Jahren, die deutlich von den zuvor unterstell­ten An­nahmen abweichen – gegenüber der 14. und der 13. koordinierten Bevölkerungs­vorausbe­rechnung deutlich modifiziert. Die entsprechenden „moderaten“ Annahmekombina­tionen der 13. bis 15. koordinierten Bevölkerungsvorausberechnung sind in Tabelle 1 aus­gewiesen.

Tabelle 1: 13. – 15. koordinierte Bevölkerungsvorausberechnung

Es wird deutlich, dass in der aktuellen Bevölkerungsvorausberechnung bei den „moderaten“ An­nahmen für die Wanderungsbewegung von einer dauerhaft deutlich höheren Zuwanderung und für die Lebenserwartung von einem langsameren Anstieg ausgegangen wird als in den beiden vorangehenden Vorausberechnungen. Im Vergleich zur 13. koordinierten Be­völkerungsvorausberechnung aus dem Jahr 2015 unterstellt die aktuelle Berechnung für die Zeit ab 2033 eine um 25 % höhere Zuwanderung; für die Zeit bis 2033 unterscheidet sich die Annahme von jener aus dem Jahr 2015 sogar noch deutlich stärker. Beim Vergleich der Annahmen zur Lebenserwartung ist zu berücksichtigen, dass die aktuelle Vorausberech­nung sich auf einen längeren Zeithorizont bezieht; ausgewiesen werden die Annah­men für das Jahr 2070, während die beiden vorangehenden Vorausberechnungen Annah­men für das Jahr 2060 ausgewiesen haben. Bezogen auf das Jahr 2060 geht die aktuelle Vorausberech­nung von einem um ca. 10 % bis 12 % geringeren Anstieg der ferneren Le­benserwartung der 65-Jährigen aus als die Vorausberechnung von 2015.

3. Wesentliche Ergebnisse der 15. koordinierte Bevölkerungsvorausberechnung

In den koordinierten Bevölkerungsvorausberechnungen wird auf der Basis der jeweiligen Annah­men modellhaft errechnet, wie viele Menschen – differenziert nach Lebensalter, Geschlecht und Bundesland – im Vorausberechnungszeitraum (d.h. in der aktuellen Berechnung bis zum Jahr 2070) in Deutschland leben. Die ausgewiesenen Ergebnisse sind dabei nicht als Prog­nose (d.h. Voraussage) der tatsächlichen Entwicklungen 6 6 Vgl. Pötzsch (2016), a.a.O., S. 37 ff. zu verstehen, sondern als „Projek­tionen“ 7 7 So schon Keyfitz, On Future Population; in: Journal of the American Statistical Association, (1972), S. 347 ff., hier S. 353. , also als Ergebnisse von Modellrechnungen auf Basis der unterstellten Annahmen. Ob und inwieweit diese Projektionen mit den tatsächlichen künftigen Entwicklung übereinstim­men, ist deshalb wesentlich davon abhängig, inwieweit die unterstellten Annahmen die tat­sächliche künftige Entwicklung von Geburten, Lebenserwartungen und Wanderungsbewe­gungen abbilden. Nicht zuletzt aus diesem Grund werden die Annahmen für jede neue Be­völkerungsvorausberechnung an die tatsächlich beobachteten Trends und deren möglichen Entwicklungspfade angepasst.

Die 15. koordinierte Bevölkerungsvorausberechnung kommt auf Basis der aktualisierten „moderaten“ An­nahmekombination zur Entwicklung von Geburten, Lebenserwartung und Wan­derungsbewe­gung (G2-L2-W2) zu dem Ergebnis, dass der Anteil der älteren Menschen in unserer Gesellschaft in den kommenden Jahrzehnten erheblich zunimmt und die Altersstruk­tur der Bevölkerung sich verändert 8 8 Vgl. Statistisches Bundesamt, 2035 werden in Deutschland 4 Millionen mehr ab 67-Jährige leben; Pressemitteilung 511 v. 2.12.2022. . Ein gebräuchlicher Indikator für diesen demographischen Wandel ist der Altenquotient und dessen Entwicklung. Er stellt das Zahlenverhältnis zwi­schen der Anzahl der Menschen im Erwerbsalter und jenen im Rentenalter dar. Oder etwas bildhafter ausgedrückt: Er weist aus, wie viele Menschen im Rentenalter auf einhundert Men­schen im Erwerbsalter kommen. Steigt der Altenquotient, also die Anzahl der Menschen im Rentenalter bezogen auf einhundert Menschen im Erwerbsalter, wird das als wachsende de­mographische Belastung interpretiert.

Die Entwicklung des Altenquotienten ist allerdings auch davon abhängig, wie die statistische Abgrenzung zwischen den „Menschen im Erwerbsalter“ und den „Menschen im Rentenalter“ konkret vorgenommen wird. Häufig wird dabei das 65. Lebensjahr als Abgrenzungskri­terium gewählt 9 9 So heißt es etwa im entsprechenden Wikipedia-Eintrag: „Üblich ist die Berechnung eines Altenquotienten aus der Zahl von Personen im Alter ab 65 Jahren bezogen auf die Zahl der 15- bis 64-Jährigen (also bezogen auf die Zahl der Personen im typischen Erwerbsalter). Eine abweichende Wahl von Altersgrenzen ist jedoch gleichfalls möglich.“ Vgl. https://de.wikipedia.org/wiki/Abh%C3%A4ngigenquotient (abgerufen am 12.4.2023). ; „Menschen im Erwerbsalter“ wären danach die 20- bis 64-Jährigen, während die 65-Jährigen und älteren für die „Menschen im Rentenalter“ stehen. Aus sozial- und gesellschaftspolitischer Sicht angemessener erscheint allerdings eine Abgren­zung von Erwerbs- und Rentenalter, die sich an der jeweils geltenden Regelaltersgrenze der gesetzlichen RV orientiert. Die Regelaltersgrenze stellt sowohl im Sozial- als auch im Arbeits­recht eine deutliche Abgrenzung zwischen Erwerbs- und Ruhestands­phase dar und wird auch in der gesellschaftlichen Wahrnehmung als die Schnittstelle zwischen Erwerbsphase und Rentenphase interpretiert.

Die Regelaltersgrenze lag bekanntlich seit dem frühen 20. Jahrhundert bei 65 Jahren, insofern war auch die Abgrenzung von Erwerbs- und Rentenphase bei der Definition des Altenquotienten lange Zeit gut begründet. Seit 2012 wird die Regelaltersgrenze jedoch bekanntermaßen schrittweise in gesetz­lich festgelegten Stufen (zunächst um einen, später um zwei Monate pro Jahr) auf das 67. Lebensjahr heraufgesetzt. Ab dem Jahr 2031 gilt dann die Regelaltersgrenze von 67 Jahren. Die „übliche“ Definition des Altenquotienten als Anzahl der Menschen im Alter von 65 und mehr Jahren bezogen auf einhundert Menschen im Alter von 20 bis 64 Jahren steht insofern seit 2012 nicht mehr im Einklang mit den sozialrechtlichen Regelungen. Sozialrechtskonform wäre dagegen eine allgemeinere Definition des Alten­quotienten, etwa in der Form: „Anzahl der Menschen im Alter jenseits der Regelaltersgrenze“ bezogen auf einhundert „Menschen im Alter von 20 Jahren bis zur Regelaltersgrenze“. Für die Zeit bis 2011 entspräche dies der „üblichen“ Abgrenzung zwischen Erwerbs- und Renten­alter mit dem 65. Lebensjahr, für die Zeit ab 2031 einer Abgrenzung mit dem 67. Lebensjahr. Für die Zeit zwischen 2012 und 2030 wäre für jedes Jahr eine andere Abgrenzung zwischen Erwerbs- und Rentenalter anwendbar, entsprechend der jeweils maßgeblichen Regelal­tersgrenze. Eine in dieser Weise sachgerechte Darstellung der Entwicklung des Altenquo­tienten ist m.W.n. erst­mals 2020 von der sog. Rentenkommission publiziert worden 10 10 Kommission Verlässlicher Generationenvertrag, Bericht der Kommission (2020), Band I, S. 46f. und Abb.3 (S. 48). . In den Publikationen des Statistischen Bundesamtes zu den koordinierten Bevölkerungsvoraus­berechnungen wird seit 2006 die Entwicklung des Altenquotienten bei Verwendung des 60., des 65. sowie des 67. Lebensjahres als Abgrenzung zwischen dem Erwerbs- und dem Ren­tenalter ausgewiesen. Der Ausweis eines Altenquotienten, bei dessen Berechnung für die Jahre 2012 bis 2030 die steigende Regelaltersgrenze berücksichtigt wird, erfolgt nicht 11 11 Die im folgenden dafür dargestellten Werte sind – für die Jahre 2015, 2020 und 2025 – auf Basis der in der 15. koordinierten Bevölkerungsvorausberechnung ausgewiesenen Ergebnisse für die maßgeblichen Altersjahre sowie die jeweils geltende Regelaltersgrenze berechnet worden. Dabei wurde vereinfachend unterstellt, dass sich die Geburtstage der Menschen eines Altersjahrgangs gleichmäßig auf die 12 Monate verteilen. .

Nach den Ergebnissen der 15. koordinierten Bevölkerungsvorausberechnung wird der sozial­rechts-konsistente Altenquotient von 34,8 im Jahr 2020 auf 43,4 im Jahr 2040 steigen. Mit anderen Worten: Im Jahr 2020 kamen 34,8 Menschen im Alter zwischen 20 Jahren und der Regelaltersgrenze 12 12 Die Anhebung der Regelaltersgrenze erfolgt jeweils bezogen auf einen Geburtsjahrgang, deshalb gilt in der Zeit der schrittweisen Altersgrenzenanhebung zu Beginn eines Kalenderjahres regelmäßig eine um einen Monat niedrigere Regelaltersgrenze als am Ende des Kalenderjahres. 2020 lag die Regelaltersgrenze aber überwiegend bei 65 Jahren und 9 Monaten. auf einhundert Menschen im Alter jenseits der Regelaltersgrenze – im Jahr 2040 werden es 43,4 Menschen sein. Ein wesentlicher Grund für diesen Anstieg liegt wie dargestellt darin, dass in dieser Zeit die Generation der Babyboomer vom Erwerbs- in das Rentenalter wechselt. In der Zeit nach 2040 stagniert der Anstieg des Altenquotienten dagegen weitgehend; im Jahr 2060 liegt er bei 44,7 und damit nur geringfügig höher als 2040. Abb. 1 zeigt diese Entwicklung des Altenquotienten in der Vergangenheit sowie die künftige Entwicklung nach den Ergebnissen der 15. koordinierten Bevölkerungsvorausbe­rechnung.

Abb. 1: Entwicklung des Altenquotienten

Abb. 1 zeigt auch, welche Auswirkung die definitorische Abgrenzung von Erwerbs- und Rentenalter auf die Entwicklung des Altenquotienten hat. Die gestrichelte Linie gibt die Entwicklung des Altenquotienten wider, wenn man das 65. Lebensjahr als Abgrenzung zwischen dem Erwerbs- und dem Rentenalter verwendet. Bei einer solchen Definition des Altenquoti­enten, die die Anhebung der Regelaltersgrenze ignoriert, fällt der ausgewiesene Anstieg der demographischen Belastung deutlich stärker aus als bei Verwendung der sozialrechts-konsis­tenten Definition; im Jahr 2040 kämen dann nicht 43,4 Menschen im Rentenalter auf einhun­dert Menschen im Erwerbsalter, sondern fast 49. Der vor uns liegende Belastungsanstieg würde also als deutlich dramatischer ausgewiesen, als er bei Berücksichtigung der tatsäch­lichen sozialrechtlichen Situation ist.

4. Belastungsanstieg deutlich geringer als in früheren Vorausberechnungen

In Tabelle 1 wurde dargestellt, wie sich die Annahmen zur weiteren Entwicklung von Ge­burten, Lebenserwartung und Zuwanderung in den koordinierten Bevölkerungsvoraus­berechnungen von 2015, 2019 und 2022 unterscheiden. Die Annahme zum weiteren An­stieg der Lebenserwartung fällt in der aktuellen Bevölkerungsvoraus­berechnung deutlich geringer aus als in den vorangegangenen Vorausberechnungen, die Annahme zur Zu­wanderung dage­gen deutlich stärker. Das hat erhebliche Auswirkungen auf die Entwicklung des Altenquotien­ten. Abb. 2 zeigt die Entwicklung des Altenquotienten nach den Ergebnis­sen der 13., 14. und 15. koordinierten Bevölkerungsvorausberechnung 13 13 Jeweils in der moderaten Annahmenkombination (G2-L2-W2). . Dabei wurde jeweils die sozial­rechts-konsistente Definition verwendet, die Abb. zeigt also, wie viele Menschen im Alter jenseits der jeweils geltenden Regelaltersgrenze auf einhundert Menschen im Alter von 20 Jahren bis zur Regelaltersgrenze kommen.

Es wird deutlich, dass der Anstieg der demographischen Belastung in den kommenden 20 Jahren nach der aktuellen Bevölkerungsvorausberechnung erheblich geringer ausfällt als in den beiden vorangehenden Vorausberechnungen. Im Vergleich zum Jahr 2020 fällt der An­stieg des Altenquotienten bis 2040 nach der aktuellen 15. Bevölkerungsvorausberechnung um mehr als 40 % geringer aus als nach der 13. koordinierten Vorausberechnung. Der Belastungsanstieg bis zum Jahr 2060 halbiert sich in der aktuellen Vorausberechnung sogar gegenüber der damaligen Vorausberechnung.

Abb. 2: 13. – 15. koordinierte Bevölkerungsvorausberechnung: Altenquotient

5. Der anstehende Belastungsanstieg ist nicht beispiellos

Dennoch ergibt sich auch nach der aktuellen Bevölkerungsvorausberechnung, dass der Übergang der Babyboomer-Generation von der Erwerbs- in die Ruhestandsphase in den kommenden Jahren mit einer steigenden demographischen Belastung einhergeht. Während 2020 noch 34,8 Menschen im Rentenalter auf einhundert Menschen im Erwerbsalter kamen, werden es nach der aktuellen Vorausberechnung 20 Jahre später rd. 43,4 sein. Ein An­stieg des Altenquotienten um 8,6 – d.h. um immerhin fast ein Viertel – impliziert eine deut­liche Zunahme der demographischen Belastung. Das wird Auswirkungen auf viele Bereiche von Ökonomie und Gesellschaft haben, ganz unmittelbar auch auf die gesetzliche RV und die Alterssicherung insgesamt. Der anstehende Anstieg der demographi­schen Belastung ist von daher sicher eine Herausforderung für die Alterssicherung.

Es ist allerdings nicht so, dass mit dem Renteneintritt der Babyboomer ein Belastungsanstieg einhergeht, wie ihn unsere Gesellschaft noch nie erlebt hat. Der bis 2040 zu erwartende An­stieg der demographischen Belastung ist nach der aktuellen Vorausberechnung keineswegs beispiellos. Im Gegenteil: In der Vergangenheit hat die Bundesrepublik Deutschland bereits mehrfach vergleichbare Phasen erlebt – teilweise hat sich die demographische Belastung in­nerhalb von zwei Jahrzehnten sogar noch stärker erhöht als das für die Zeit von 2020 bis 2040 zu erwarten ist. So ist der Altenquotient z. B. in der Zeit zwischen 1990 und 2010 von 22,9 auf 33,8 gestiegen – also um 9,9 oder mehr als 40 %! Und auch in den 20-Jahres-Zeiträumen zwischen 1995 und 2015 oder 1960 und 1980 war der Anstieg ähnlich hoch oder sogar höher als das, was nach der aktuellen Bevölkerungsvorausberechnung für die Zeit von 2020 bis 2040 zu erwarten ist.

Diese Phasen eines deutlichen An­stiegs des Altenquotienten sind tendenziell bereits im Kur­venverlauf der Abb.1 und 2 zu erkennen. Abb. 3 weist nun die kon­kreten Zuwachs­werte jeweils bezogen auf den Zeitraum von zwei Jahrzehnten aus. Deutlich wird: der Belas­tungsanstieg zwischen 2020 und 2040 ist keineswegs beispiellos oder „besonders stark“; der Anstieg der demographischen Belastung ist in dieser Zeit sogar etwas geringer als das in gleich langen Zeiträumen in der Vergangenheit der Fall war.

Abb. 3: Anstieg des Altenquotienten innerhalb von 20 Jahren – 1960 bis 2060 –

6. Fazit und Ausblick

Die Ende 2022 vorgelegte 15. koordinierte Bevölkerungsvorausberechnung des Statistischen Bundesamtes weist aus, dass mit Übergang der Babyboomer-Generation von der Erwerbs- in die Ruhestandsphase ein deutlicher Anstieg der demographischen Belastung einhergeht. Im Jahr 2040 werden auf einhundert Menschen im Erwerbsalter etwa 43,4 Menschen im Ren­tenalter kommen, das sind dann 8,6 Menschen mehr als noch im Jahr 2020. Das ist zweifel­los eine Herausforderung für Ökonomie und Gesellschaft, insbesondere aber auch für die gesetzliche RV, da die Beiträge der Erwerbstätigen die Hauptquelle für die Finanzierung der Renten für die Ruheständler darstellen. Der anstehende Anstieg der demo­graphischen Belastung ist aber nicht beispiellos – im Ge­genteil: In der Vergangenheit hat es sogar schon Phasen gegeben, in denen der Anstieg noch stärker war als in der nun vor uns liegenden Zeit. Auch in diesen Phasen ist es jedoch stets gelungen, die Finanzierung der Renten verlässlich zu gewährleisten.

Das hatte zahlreiche Gründe, und viele davon lagen nicht unmittelbar im Rentenrecht: Die ökonomische Entwick­lung mit der massiven Ausweitung der sozialversicherungspflichtigen Beschäftigung – ge­speist einerseits durch die Zuwanderung von Erwerbstätigen, anderer­seits durch eine massiv gestiegene Erwerbsbeteiligung der Menschen im Erwerbsalter – mag hier als Stichwort rei­chen. Die Politik hat diese Entwicklung zweifellos unterstützt oder sogar ausgelöst, z. B. durch Maßnahmen zur besseren Vereinbarkeit von Beruf und Familie, den Abbau der Arbeitslosigkeit oder die Süd- und Ost-Erweiterung der Europäi­schen Union. Zweifellos haben zu dieser Entwicklung aber auch die Reformen im Bereich der Alterssicherung beige­tragen, die – beginnend mit der Rentenreform von 1992 – in aller Regel gerade mit dem Ziel einer Anpassung der Rentenversicherung an den demographischen Wandel durchgeführt wur­den. Im Ergebnis ist es jedenfalls gelungen, trotz des starken An­stiegs der demographischen Belastung in den vergangenen Jahrzehnten den Beitragssatz der RV er­staunlich stabil zu halten; aktuell liegt der Satz mit 18,6 % sogar niedriger als Mitte der achtziger Jahre – obwohl die Zahl der Menschen im Rentenalter bezo­gen auf einhundert Men­schen im Erwerbsalter seither um rd. 50 % gestiegen ist 14 14 Vgl. Roßbach, Die Rentenversicherung – Stabilitätsanker in unsicheren Zeiten; Vortrag auf dem aktuellen Presseseminar der Deutschen Rentenversicherung Bund am 9. und 10.11.2022 in WürzburgZum Vortrag .

Das ist sicher kein Grund, den nun anstehenden erneuten deutlichen Anstieg der demogra­phischen Belastung und seine Auswirkungen auf die Alterssicherung zu unterschätzen. Der Übergang der Babyboomer von der Erwerbs- in die Rentenphase stellt ohne Zweifel eine Herausforderung für die Alterssicherung dar. Die Ergebnisse der aktuellen 15. koordinierten Bevölkerungsvorausberechnung zeigen aber, dass wir eine vergleichbare demographische Herausforderung in der Vergangenheit bereits bewältigt haben – und das, ohne dass der Beitragssatz der RV unakzeptabel gestiegen wäre oder die Renten gekürzt worden wären. Deshalb liegt es nahe zu prüfen, welche Maßnahmen dazu beigetragen ha­ben das zu erreichen, ob sie – ggf. in modifizierter Form – wiederholbar sind oder ob andere Ansätze gefunden werden müssen.

Die Voraussetzungen für eine erfolgreiche Anpassung der RV an den An­stieg der demographischen Belastung erscheinen jedenfalls aktuell grundsätzlich nicht schlechter als in der Vergangenheit. Denn auch das hat die Vergangenheit gezeigt: Der ent­scheidende Faktor für ein finanzierbares und leistungsstarkes umlagefinanziertes Alters­sicherungssystem ist immer der Arbeitsmarkt – und der dürfte in Zeiten von Arbeitskräfte­mangel deutlich aufnahmefähiger sein als in den Zeiten hoher Arbeitslosigkeit, wie etwa in den neunziger Jahren.

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