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Pflegeversicherung Urteil aktuell

Kinderreiche müssen in Pflegeversicherung bessergestellt werden

RVaktuell 3/2022

Gute Nachricht für Eltern mit mehreren Kindern: Sie müssen nach einer Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts (BverfG) bei der gesetzlichen Pflegeversicherung (PflegeV) bessergestellt werden als kleinere Familien und Kinderlose. Für die Beiträge zur gesetzlichen Renten- und Krankenversicherung gilt das hingegen nicht. Die Praxis, hier überhaupt nicht zwischen Eltern und Kinderlosen zu unterscheiden, sei rechtens, entschied das oberste deutsche Gericht (1 BvL 3/18 u.a.). Familienverbände wollen nun auf politischem Weg für ihr Anliegen kämpfen. Das Gericht ordnete an, Beitragssätze in der PflegeV bis Ende Juli 2023 an die konkrete Zahl der Kinder anzupassen. „Diesen Beschluss werden wir in der erklärten Frist umsetzen“, sagte Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach dem Redaktionsnetzwerk Deutschland (RND). Der SPD-Politiker fügte hinzu: „Die Pflegeversicherung muss aber auch grundsätzlich solider finanziert werden. Auch das werden wir angehen.“ Für den Koalitionspartner FDP kündigte der stellvertretende Fraktionsvorsitzende Lukas Köhler an, spätestens im nächsten Sommer gebe es ein System, „in dem die reale Erziehungsleistung in der Pflegeversicherung besser berücksichtigt wird“. Der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB) will mehr: „Es reicht nicht aus, die Debatte um den Lastenausgleich auf diejenigen zu beschränken, die ins Solidarsystem der Sozialversicherung einzahlen“, sagte Vorstandsmitglied Anja Piel mit Blick auf Selbständige. „Wir brauchen deshalb dringend einen gerechten gesamtgesellschaftlichen Lastenausgleich, der nicht auf einzelne Systeme oder Gruppen beschränkt bleibt.“ Der Arbeitgeberverband Pflege geht von steigendem Druck auf die Bundesregierung aus, sich endlich einer öffentlichen Diskussion über die künftige Finanzierung der Pflege zu stellen“. Angesichts von Lohnzuwächsen, explodierenden Energiepreisen und hoher Inflation werde vielen Pflegeeinrichtungen nichts anderes übrigbleiben, als den Eigenanteil der Pflegebedürftigen oder der Angehörigen zu erhöhen – bis hin zu einer Verdopplung, so Präsident Thomas Greiner. „So erfreulich die heutige Entscheidung zur sozialen Pflegeversicherung auch für Familien ist, sie betrifft leider nur den ökonomisch unbedeutendsten der drei Sozialversicherungszweige“, erklärte der Präsident des Familienbunds der Katholiken (FDK), Ulrich Hoffmann. „So kann es nicht gelingen, Familien aus der strukturellen Benachteiligung und der Armut zu holen.“ Schon 2001 hatte das Verfassungsgericht geurteilt, es sei nicht mit dem Grundgesetz vereinbar, dass Eltern einen genauso hohen Satz für die PflegeV zahlen müssten wie Kinderlose – sie leisteten einen „generativen Beitrag zur Funktionsfähigkeit eines umlagefinanzierten Sozialversicherungssystems“. Die Beitragssätze wurden daraufhin angepasst. Seit Anfang dieses Jahres liegt jener für Eltern bei 3,05 % des Bruttoeinkommens, der für Kinderlose bei 3,4 %. Nach Ansicht des BVerfG greift das aber zu kurz: Je mehr Kinder eine Familie habe, desto größer seien der Aufwand und die damit verbundenen Kosten. „Diese Benachteiligung tritt bereits ab einschließlich dem zweiten Kind ein“, heißt es in der Mitteilung. „Die gleiche Beitragsbelastung der Eltern unabhängig von der Zahl ihrer Kinder ist verfassungsrechtlich nicht gerechtfertigt.“ Der Gesetzgeber müsse diese Benachteiligung beheben. In der gesetzlichen Rentenversicherung (RV) ist die Lage nach Überzeugung des Gerichts anders: Hier werde der Wert der Kindererziehung insbesondere durch die Anerkennung sog. Kindererziehungszeiten honoriert, entschied der Erste Senat unter Vorsitz von Gerichtspräsident Stephan Harbarth. Mit Blick auf die gesetzliche Krankenversicherung (KV) betonten die Richterinnen und Richter, dass die Versicherten hier schon in Kindheit und Jugend „in erheblichem Umfang“ von den Leistungen profitierten. Dass in diesen beiden Fällen keine Unterschiede zwischen Menschen mit und ohne Kinder gemacht werden, hatte schon das Bundessozialgericht in mehreren Urteilen für rechtens erklärt. Gegen diese Entscheidungen wehrten sich mehrere Eltern mit Verfassungsbeschwerden, unterstützt vom Familienbund der Katholiken in der Erzdiözese Freiburg. „Nicht nur im Interesse der Familien, sondern in erster Linie der Gesellschaft, brauchen wir eine strukturelle Reform der gesetzlichen Sozialversicherung, die die Erziehung von Kindern gerecht bewertet“, erklärte FDK-Präsident Hoffmann. Die Entscheidung des Gerichts mache aber deutlich, dass Beitragsgerechtigkeit nicht über Klagen, sondern über den politischen Diskurs zu erreichen sei. Aus Sicht der Deutschen Stiftung Patientenschutz war mehr Solidarität bei den Beiträgen überfällig. „Pflege ist sowohl jetzt als auch in der Zukunft die große Herausforderung“, sagte Vorstand Eugen Brysch. Denn die Ehegatten und Kinder stemmten „den größten Pflegedienst Deutschlands“. Die Versicherung trage nur einen Sockel der Kosten.

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