RVaktuell - Fachzeitschrift und amtliche Mitteilungen
RVaktuell - Fachzeitschrift und amtliche Mitteilungen der Deutschen Rentenversicherung

Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts und des Bundessozialgerichts mit verfassungsrechtlichen Bezügen

RVaktuell 1/2022
Der jährliche Rückblick der RVaktuell auf die Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) wurde trotz der Neuaufstellung der RVaktuell als digitales Medium beibehalten. In diesem abschließenden Beitrag finden Sie den Rückblick auf die für die gesetzliche Rentenversicherung (RV) interessante Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) und des BSG mit verfassungsrechtlichen Erwägungen aus dem Jahr 2020.
Ulrike Kumpfert ist Mitarbeiterin in der Abteilungsleitung/Stabsstelle der Grundsatzabteilung der Deutschen Rentenversicherung Bund.

1. Rechtsprechung des BVerfG

1.1 Normenkontrollverfahren zur Prüfung der Verfassungsmäßigkeit des § 17 VersAusglG (BVerfG, Az.: 1 BvL 5/18)

Das BVerfG bejahte in diesem Urteil die Verfassungsmäßigkeit des § 17 des Gesetzes zur Strukturreform des Versorgungsausgleichs vom 3.4.2009 (VersAusglG), jedoch nur unter der Voraussetzung einer verfassungskonformen Anwendung der Norm durch die Familiengerichte. Das Oberlandesgericht (OLG) Hamm hatte mit seinem Aussetzungs- und Vorlagebeschluss zum BVerfG vom 17.10.2018 (Az.: II-10 UF 178/17 / II-12 UF 12/19) die Prüfung angestoßen.

Im Rahmen des Versorgungsausgleichs können Anrechte durch externe Teilung ausgeglichen werden, indem für die ausgleichsberechtigte Person ein Anrecht bei einem anderen Versorgungsträger begründet wird, als für die bei dem bisherigen Versorgungsträger verbleibende ausgleichspflichtige Person (s. § 14 Abs. 1 VersAusglG). Die Wertentwicklung der so geteilten Anrechte verläuft im System der ausgleichspflichtigen Person und im System der ausgleichsberechtigten Person im Folgenden dann unterschiedlich.

Nach § 17 VersAusglG kann der Versorgungsträger der ausgleichspflichtigen Person die externe Teilung von Anrechten aus der betrieblichen Altersversorgung einseitig verlangen, wenn der Kapitalwert des Anrechts aus einer Direktzusage oder einer Unterstützungskasse am Ende der Ehezeit die Beitragsbemessungsgrenze der allgemeinen RV nicht übersteigt. Die Grundnorm des § 14 Abs. 2 Nr. 2 VersAusglG setzt dagegen die Wertgrenze für die externe Teilung von Anrechten ohne Zustimmung der ausgleichsberechtigten Person sehr viel niedriger an.

§ 17 VersAusglG eröffnet dem Arbeitgeber als Träger der betrieblichen Altersversorgung damit eine erleichterte Möglichkeit, die externe Teilung der bei ihm bestehenden Anrechte durchzusetzen und die Aufnahme der ausgleichsberechtigten Person in das eigene Versorgungssystem abzuwenden. Bei einer internen Teilung der Anrechte aus einer Direktzusage oder Unterstützungskasse wäre die Arbeitgeberin ansonsten unmittelbar selbst involviert, da sie neben den Anrechten der ausgleichspflichtigen Person auch die Anrechte der ausgleichsberechtigten, betriebsfremden Person verwalten müsste (vgl. die Gesetzesbegründung, BT-Drucks. 16/10144, S. 60).

Der Kapitalwert der Anrechte, den der Versorgungsträger der ausgleichspflichtigen Person bei externer Teilung dann an den aufnahmebereiten Zielversorgungsträger der ausgleichsberechtigten Person zahlen muss, wird unter Verwendung eines bestimmten Zinssatzes für die Rückabzinsung ermittelt. Bei Umrechnung in ein Rentenanrecht bei dem Zielversorgungsträger kommt jedoch ein sehr viel niedrigerer, marktaktueller Zins zum Ansatz. In der Folge wird die ausgleichsberechtigte Person bei vergleichbarer Ausgangslage aufgrund der Transferverluste eine weitaus geringere Rente erhalten als die ausgleichsverpflichtete Person, die bei dem Träger der betrieblichen Altersversorgung verbleibt – und auch als sie selbst bei interner Teilung bei demselben Träger zu erwarten gehabt hätte.

Aufgrund des hohen Werts der von § 17 VersAusglG mit Transferverlusten belegten Anrechte wurde vom vorlegenden Gericht die Gefahr gesehen, den grundgesetzlich verankerten Halbteilungsgrundsatz und den Gleichheitsgrundsatz bei Scheidung der Eheleute hier strukturell zu verfehlen. Das Interesse an einer gleichwertigen Teilhabe der Eheleute am Altersvorsorgevermögen bei einer Scheidung werde dem Interesse des Trägers der betrieblichen Altersversorgung untergeordnet. Das OLG Hamm hatte eine Beschwerdesache ausgesetzt und die Frage der Verfassungsmäßigkeit des § 17 VersAusglG dem BVerfG vorgelegt. Die Deutsche Rentenversicherung Bund war dabei als Beigeladene des Ausgangsverfahrens beteiligt.

Die Deutsche Rentenversicherung war nicht unmittelbar, sondern lediglich im Reflex von der Regelung des § 17 VersAusglG berührt, indem die gesetzliche RV als Zielversorgungsträger für die extern zu teilenden Anrechte ausgewählt werden kann.

Das BVerfG urteilte nun, dass die zur Überprüfung gestellte Norm des § 17 VersAusglG bei einer verfassungskonformen Anwendung nicht gegen die nach Art. 14 Grundgesetz (GG) geschützten Eigentumsrechte der ausgleichsberechtigten und auch der ausgleichsverpflichteten Person verstößt. Die Versorgungsanrechte seien bereits in der Anwartschaftsphase aufgrund ihrer Unverfallbarkeit von der Eigentumsgarantie nach Art. 14 Abs. 1 GG erfasst (vgl. BVerfGE 136, 152). Die nähere Bestimmung von Inhalt und auch Schranken der Anwartschaftsrechte durch das VersAusglG ist gerechtfertigt, denn die Sicherung einer eigenständigen Versorgung für Alter und Invalidität für die ausgleichsberechtigte Person nach der Scheidung stelle ein legitimes Ziel des Gesetzes dar. Dabei dürfe aber die zu erwartende Versorgungsleistung für die ausgleichsberechtigte Person nicht hinter dem Wert der Kürzung bei der ausgleichsverpflichteten Person zurückbleiben, denn anderenfalls liege eine Zweckverfehlung dieser eigentlich gerechtfertigten Belastung auf Seiten der ausgleichspflichtigen Person vor. Hier sei die Gefahr der Zweckverfehlung auch nicht in hinzunehmenden individuellen Risiken der ausgleichsberechtigten Person nach der Teilung der Anrechte begründet (vgl. zum Risiko des Vorversterbens, das angesichts der mit dem Versorgungsausgleich bezweckten Eigenständigkeit der Versorgungen der geschiedenen Eheleute hinzunehmen ist, BVerfGE 136, 152), sondern bereits in den Umständen, unter denen die Teilung vorgenommen werde. Diese seien für den Eigentumsschutz relevant. Gleiches gelte für den Eigentumsschutz der ebenfalls durch den ungünstigen Zinsansatz beeinträchtigten neu zu begründenden Versorgungsanrechte der ausgleichsberechtigten Person (dazu schon BVerfGE 53, 257; BVerfGE 131, 66). Der Eigentumsschutz zugunsten der Anteile der ausgleichsberechtigten Person beginne bereits mit dem juristischen Moment der Scheidung beim Quellversorgungsträger, noch vor der Neubegründung des eigenständigen Anrechts durch das Familiengericht.

§ 17 VersAusglG diene insoweit legitimen Zwecken – nämlich, die Arbeitgeberin vor den organisatorischen Herausforderungen der Verwaltung der Ansprüche betriebsfremder Versorgungsempfänger zu schützen und so zugleich die betriebliche Altersvorsorge in diesen unmittelbaren Formen zu stärken.

Diese betroffenen verfassungsrechtlichen Belange können und müssen nach dem Urteil des BVerfG zu einem Ausgleich gebracht werden. Die Gerichte seien zur verfassungskonformen Rechtsanwendung verpflichtet, d.h., der vom Arbeitgeber an den Zielversorgungsträger als Kapitalbetrag zu leistende Ausgleichswert ist durch die Familiengerichte unter Nutzung des bestehenden Entscheidungsspielraums so festzulegen, dass einerseits eine unangemessene Schmälerung der Versorgung nicht eintritt und andererseits der arbeitgeberseitig zu leistende Kapitalbetrag nicht unangemessen die Aufwandsneutralität übersteigt. Hierfür ist das BVerfG von einem durch das OLG Hamm angesetzten noch angemessenen Transferverlust von bis zu 10 % der Ausgangsversorgung ausgegangen. Hinsichtlich der möglichen finanziellen Belastung von Arbeitgebern stellt das BVerfG zudem fest, dass ihnen die Entscheidung für eine interne Teilung weiterhin offenstehe.

Auch eine faktische Benachteiligung von Frauen, die durch eine externe Teilung nach § 17 VersAusglG eintreten kann, verletzt bei der gebotenen verfassungskonformen Anwendung der Norm nicht den grundgesetzlich gezogenen Rahmen. Die Regelung differenziert zwar nach ihrem Wortlaut und ihrer Intention nicht nach Frauen und Männern. Aber selbst bei neutraler Formulierung einer Regelung kann es zu einer tatsächlich weit überwiegenden Benachteiligung von Frauen kommen. Nach der Schätzung des Gesetzgebers sind aufgrund der noch überkommenen Aufteilung von berufsbezogener und familienbezogener Arbeit ca. 80 % der ausgleichsberechtigten Personen Frauen (vgl. BT-Drucks. 16/10144, S. 44), die von den beschriebenen Transferverlusten bei einer externen Teilung benachteiligt würden. Auch diese faktische Benachteiligung will das Grundgesetz, insbesondere Art. 3 Abs. 2 GG, verhindern (s. BVerfGE 126, 29). Dessen Satz 2 stelle ausdrücklich klar, dass sich das grundgesetzliche Gebot der Gleichbehandlung und Gleichberechtigung auch auf die gesellschaftliche Wirklichkeit und die tatsächlichen Lebensverhältnisse beziehe, so das BVerfG. Auch diese grundgesetzlich geschützten Interessen werden mittels der geforderten verfassungskonformen Auslegung gewahrt und mit den sachlich begründeten Interessen von Arbeitgebern an der externen Teilung zu einem Ausgleich gebracht.

Im Hinblick auf die Inhaber der nach Art oder Wertgrenze nicht von § 17 VersAusglG erfassten betrieblichen Versorgungsanrechte ist der Gleichheitsgrundsatz nach dem Urteil des BVerfG gewahrt. Die Ungleichbehandlung ist insofern gerechtfertigt, als die unmittelbaren Durchführungswege der betrieblichen Altersversorgung, die § 17 VersAusglG umfasst, nämlich die Wege der Direktzusage bzw. der Unterstützungskasse, eine besonders unmittelbare Involvierung der Arbeitgeberin mit sich bringen und andererseits im Hinblick auf die besondere Attraktivität der Versorgungsleistung die Arbeitgeber nicht von einem solchen Angebot abgehalten werden sollten. Diese Erwägungen stellen legitime Sachgründe dar, die eine Ungleichbehandlung rechtfertigen.

1.2 Verfassungsbeschwerde in Sachen geschlechtergerechte Sprache (BVerfG, Az.: 1 BvR 1074/18)

Dem BVerfG lag in Form einer Verfassungsbeschwerde auch die Frage vor, ob es einen verfassungsrechtlich verbürgten Anspruch auf eine gendergerechte Sprache und Anrede in Vordrucken und Formularen gebe. Die Verfassungsbeschwerde wurde jedoch aufgrund von Begründungsmängeln mit Beschluss der 2. Kammer des Ersten Senats des BVerfG nicht zur Entscheidung angenommen.

Die Verfassungsbeschwerde richtete sich gegen das Urteil des Bundesgerichtshofs (BGH, Az.: VI ZR 143/17). Die Klägerin wollte gegenüber der Sparkasse durchsetzen, in der grammatisch weiblichen Form in deren Formularen bezeichnet zu werden. Sie scheiterte damit jedoch in allen drei Instanzen des ordentlichen Rechtswegs.

Der BGH hatte letztinstanzlich entschieden, dass es kein subjektives Recht, also keinen individuell durchsetzbaren Anspruch gebe, geschlechtergerecht angesprochen zu werden. Auch wenn das Saarländische Gleichstellungsgesetz eine Verpflichtung von Dienststellen des Landes zur geschlechtsneutralen Bezeichnung, hilfsweise zur Verwendung von männlicher und weiblicher Form vorsehe, seien damit keine subjektiven Rechte zugunsten der Beschwerdeführerin verbunden. Diese Norm sei im Hinblick auf den weiten Anwendungskreis nicht als konkret drittschützende Norm angelegt. Damit musste sich der BGH auch nicht mit der Frage auseinandersetzen, inwiefern die hilfsweise Vorgabe der Verwendung von männlicher und weiblicher Form mit Art. 3 Abs. 3 Satz 1 GG vereinbar ist – denn die Personen, die sich dauerhaft weder dem männlichen noch dem weiblichen Geschlecht zugehörig fühlen, blieben dadurch unberücksichtigt (vgl. dazu BVerfG, Beschluss vom 10.10.2017, Az.: 1 BvR 2019/16).

Auch § 21 des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes verbiete zwar eine unzulässige Benachteiligung wegen des Geschlechts, doch es ließe sich keine rechtlich relevante Ungleichbehandlung feststellen. Die grammatisch männliche Form erfasse als generisches Maskulinum nach dem üblichen Sprachgebrauch und allgemeinen Sprachverständnis alle natürlichen Geschlechter, dementsprechend liege auch der Sprachgebrauch in Gesetzestexten und insbesondere auch im Grundgesetz. Das allgemeine Persönlichkeitsrecht nach Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 GG könne daher den Anspruch nicht vermitteln, ebenso wenig wie die Gleichbehandlungsgrundsätze nach Art. 3 Abs. 1, Abs. 2 und Abs. 3 Satz 1 GG.

Dass die Beschwerdeführerin sich nicht mit diesem Argument des Sprachgebrauchs des Grundgesetzes in ihrer Verfassungsbeschwerde auseinandersetzt, genügte den Anforderungen an die Begründungspflicht nicht. Dabei lässt das BVerfG in seiner Begründung selbst ausdrücklich offen, wie tragfähig dieses vom BGH angeführte Argument sein könnte. Zu kurz griff die Begründung nach Ansicht des BVerfG auch hinsichtlich der verfassungsrechtlichen Bewertung des Saarländischen Gleichstellungsgesetzes als rein objektive, nicht drittschützende Norm.

Die Deutsche Rentenversicherung ist bemüht, ihre Schreiben und Vordrucke bürgerfreundlich, verständlich und klar zu gestalten. Als Aspekt der bürgerfreundlichen Sprache werden dabei nach Möglichkeit geschlechtergerechte oder -neutrale Bezeichnungen gewählt.

2. Rechtsprechung des BSG mit verfassungsrechtlichem Bezug

Der 12. Senat des BSG befasste sich in einem Urteil (Az.: B 12 R 28/18 R) mit einer Revision über die Erhebung von Säumniszuschlägen zu Beitragsnachforderungen und stellte dabei klar, dass der Erhebung von Säumniszuschlägen nach § 24 Viertes Buch Sozialgesetzbuch (SGB IV) keine verfassungsrechtlichen Bedenken entgegenstehen.

Anlass des Rechtsstreits war die Frage, ob die einzelnen rückständigen monatlichen Beitragsforderungen zunächst zu addieren sind, bevor der sich ergebende Betrag gem. § 24 Abs. 1 Satz 1 SGB IV als Grundlage der Berechnung der Säumniszuschläge nach unten auf 50 EUR abzurunden ist. Das bejahte das BSG in diesem Urteil. Auch wenn die einzelnen nachgeforderten Monatsbeiträge jeweils unter der Höhe von 50 EUR blieben, ergibt sich durch diese Berechnungsmethode die Zulässigkeit der Erhebung von Säumniszuschlägen, sofern die addierten Beiträge insgesamt abgerundet genau oder mehr als 50 EUR ergeben.

Das BSG geht strukturiert auf die Auslegung der Norm des § 24 SGB IV nach Wortlaut, Zweck, Historie sowie nach den allgemeinen Grundsätzen des Beitragsrechts ein, um die genannte Anwendung der Vorschrift zu begründen.

Der Wortlaut der Vorschrift differenziere sehr klar nach den einzelnen geschuldeten „Beiträgen“ bzw. „Beitragsvorschüssen“, die nach Addition und Abrundung einen rückständigen „Betrag“ ergäben, auf den dann, sofern er den Wert von 50 EUR erreicht, erst Säumniszuschläge für jeden angefangenen Monat der Säumnis zu erheben sind. Dieses Ergebnis sieht das BSG durch den Zweck der Erhebung der Säumniszuschläge bestätigt, nämlich Sanktionsmittel gegenüber verspäteter Beitragszahlung, Druckmittel für die rechtzeitige Erfüllung der Zahlungspflicht und Mittel zum Schadensausgleich für Zinsverlust und Verwaltungsaufwand der Sozialversicherungsträger zu sein. Diese Zwecke sollen im Sinne der Stabilität der Sozialversicherungsträger auch bei kleineren, aber häufigeren Säumnisbeträgen greifen. Dementsprechend forderten auch die allgemeinen Grundsätze des Beitragsrechts nach § 76 SGB IV sowie § 69 SGB IV die vollständige und rechtzeitige Erhebung der Einnahmen und somit wirtschaftliche und effektive Durchsetzung aller in Betracht kommender Ansprüche der Sozialversicherungsträger. Hierunter fallen auch die Säumniszuschläge.

Auch dass mit der Vorschrift des § 240 Abs. 1 Satz 1 Abgabenordnung (AO) die steuerrechtlichen und die sozialversicherungsrechtlichen Vorschriften nicht im Einklang stehen, widerspreche der gefundenen Auslegung nicht, so das BSG weiter. Nach dieser Norm der AO sind Säumniszuschläge auf einen jeweils abgerundeten rückständigen Steuerbetrag zu zahlen, ohne dass eine Addition erfolgt.

Schon nach dem Wortlaut bestehen erhebliche Unterschiede zwischen den Normen. Das BSG verweist zudem auf seine bisherige Rechtsprechung, wonach aus verschiedenen systematischen und sozialgeschichtlichen Erwägungen keine Vergleichbarkeit von säumigen Steuerzahlern und säumigen Beitragszahlern nach dem Sozialversicherungsrecht gegeben sei (vgl. BSGE 111, 268: es handele sich um verschiedene Ordnungsbereiche, die vom Gesetzgeber auch verschiedenen Regelungen unterworfen werden dürften). Die geltenden Vorschriften über die Erhebung von Säumniszuschlägen in den verschiedenen Regelungsbereichen trügen den jeweiligen Besonderheiten der Rechtsgebiete Rechnung und ließen sich daher nicht auf das jeweils andere Rechtsgebiet übertragen.

Aus verfassungsrechtlicher Sicht bestehen keine Bedenken gegen die Anwendung der Vorschrift. Ein Verstoß gegen das Übermaßverbot könne nicht festgestellt werden. Die Säumniszuschläge in ihrer Funktion als Druckmittel zur Erhaltung von finanzieller Stabilität und Funktionsfähigkeit der Sozialversicherung dienen einem überragend wichtigen Gemeinwohlbelang; diese stellen ein legitimes Ziel des Gesetzgebers dar (s. auch BSGE 111, 268 unter Verweis auf BVerfGE 123, 186). Obwohl die Verfassungsmäßigkeit der Höhe von Nachzahlungszinsen nach der AO durch den Bundesfinanzhof bezweifelt wurde (vgl. BFHE 260, 431), kann der urteilende Senat des BSG diese Zweifel hinsichtlich der Säumniszuschläge nach § 24 SGB IV nicht teilen. Nach Sinn und Zweck unterschieden sich die Säumniszuschläge von Nachzahlungszinsen, so das BSG, insbesondere stehen bei den Säumniszuschlägen nicht die am Markt zu erzielenden Zinsen im Vordergrund. Zudem würde durch die Härteregelungen des § 24 SGB IV in Form der Kleinstbetragsregelung und der Berücksichtigung unverschuldeter Unkenntnis über die Zahlungspflicht sowie nicht zuletzt durch die Regelungen zu Stundung, Niederschlagung und Erlass nach § 76 SGB IV eine eventuelle Unverhältnismäßigkeit im Einzelfall vermieden.

RVaktuell 1/2022
Die Reihe wird mit den Entscheidungen des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) und den Urteilen des Bundessozialgerichts (BSG) mit Auslandsbezug aus dem Jahr 2020 fortgesetzt.



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