RVaktuell - Fachzeitschrift und amtliche Mitteilungen
RVaktuell - Fachzeitschrift und amtliche Mitteilungen der Deutschen Rentenversicherung

Entscheidungen zum Europarecht und Fälle mit Auslandsberührung

RVaktuell 1/2022
Die Reihe wird mit den Entscheidungen des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) und den Urteilen des Bundessozialgerichts (BSG) mit Auslandsbezug aus dem Jahr 2020 fortgesetzt.



Andrea Pflüger ist Mitarbeiterin im Referat für Internationales Sozialrecht/ Abt. Grundsatz der Deutschen Rentenversicherung Bund. Ola Hebrant leitet dieses Referat.

1. Einleitung

2020 wird als das Jahr des Pandemiebeginns in die Geschichte eingehen. Im Zuge einer weltweit rasanten Entwicklung sahen sich auch die Mitgliedstaaten der Europäischen Union (EU) den Herausforderungen der Coronakrise gegenüber; ebenso war die deutsche EU-Ratspräsidentschaft im zweiten Halbjahr 2020 von der Aufgabe geprägt, die Arbeits- und Handlungsfähigkeit der EU unter erschwerten Bedingungen sicherzustellen.

2020 war zudem das Jahr des Brexit. Mit Ablauf des 31.1.2020 hat das Vereinigte Königreich – nach 47 Jahren Mitgliedschaft – die Gemeinschaft verlassen und damit in seinem Verhältnis zur EU ein neues Kapitel aufgeschlagen, dessen Rahmenbedingungen es erst zu klären galt. Im Übergangszeitraum vom 1.2.2020 bis zum 31.12.2020 fand das Unionsrecht und damit für den Bereich der Rentenversicherung (RV) insbesondere die VO(EG) Nr. 883/2004 und die VO(EG) Nr. 987/2009 grundsätzlich uneingeschränkt weiter Anwendung. Nach konfliktreichen Verhandlungen konnten die beiderseitigen Beziehungen am 24.12.2020 für die Zeit ab 1.1.2021 in einem Handels- und Kooperationsabkommen geregelt werden. Das enthält im Interesse der Betroffenen umfangreiche Regelungen zur sozialen Sicherheit, die in weiten Teilen ebenfalls dem bisher auch für das Vereinigte Königreich geltenden EU-Recht entsprechen.

In Relation zu den aufwühlenden Geschehnissen des Jahres 2020 erscheint die diesjährige Rechtsprechungsauswahl zwangsläufig weniger spektakulär. Bei den Urteilen des EuGH bildete erneut die Bindungswirkung von A1-Bescheinigungen einen Schwerpunkt. Auch das BSG hat im Berichtsjahr wichtige Entscheidungen mit Auslandsbezug getroffen: Die eine betrifft die Problematik der sog. multilateralen Zusammenrechnung, die andere die Auslegung des Gesetzes zur Zahlbarmachung von Renten aus Beschäftigung in einem Ghetto (ZRBG).

2. Entscheidungen des EuGH

2.1 Bindungswirkung betrügerisch erlangter A1-Bescheinigungen

Zum Nachweis, dass für einen Beschäftigten bei Dienstreisen in das europäische Ausland Sozialabgaben weiterhin nur im Entsendestaat zu entrichten sind, bestätigt der zuständige Träger das anwendbare Sozialversicherungsrecht in der A1(früher: E 101)-Bescheinigung. Aus Gründen der Rechtssicherheit sind nach ständiger Rechtsprechung des EuGH Behörden wie Gerichte des Beschäftigungsstaates an die A1-Bescheinigung gebunden, bis diese vom ausstellenden Träger zurückgezogen oder für ungültig erklärt wurde 1 1 Rs. C-2/05 vom 26.1.2006; Rs. C-620/15 vom 27.4.2017; Rs. C-356/15 vom 11.7.2018; Rs. C-527/16 vom 6.9.2018. .  Auch bei erheblichen Zweifeln an ihrer materiellen Richtigkeit ist das Dialogverfahren nach Art. 5 Abs. 2 VO(EG) 987/2009 zwingend: Hat ein Träger Bedenken, muss er sich an den ausstellenden Träger des anderes Staates wenden und um Überprüfung bitten. Kann keine Einigkeit erzielt werden, bleibt die Möglichkeit, die Verwaltungskommission anzurufen.

Eine Ausnahme von der Bindungswirkung hatte der EuGH in der Vergangenheit nur für den Fall zugelassen, dass die A1-Bescheinigung in betrügerischer Weise erlangt worden war und die ausstellende Behörde im Dialogverfahren ihrerseits keine Anstalten unternommen hatte, den Sachverhalt einer erneuten Prüfung zu unterziehen 2 2 Rs. C-359/16 vom 6.2.2018. .

Diese Rechtsprechung hat der EuGH in zwei miteinander verbundenen Rechtssachen (Vueling Airlines SA u.a.) 3 3 Rs. C-370/17 und C-37/18 vom 2.4.2020. im Jahr 2020 fortgeführt und dabei insbesondere die Bedeutung des Dialogverfahrens betont. Der den beiden Verfahren zu Grunde liegende komplexe Sachverhalt kann an dieser Stelle nur vereinfacht wiedergegeben werden. Im Kern ging es um eine Fluggesellschaft mit Sitz in Spanien, die 2007 auf einem Pariser Flughafen einen Geschäftsbetrieb errichtet und den Flugverkehr zu verschiedenen Städten in Spanien aufgenommen hatte. Für das Flugpersonal waren vom spanischen Sozialversicherungsträger E 101-Bescheinigungen ausgestellt worden, so dass spanisches Recht galt und die Mitarbeiter in Frankreich nicht zur Sozialversicherung angemeldet wurden. Zu Unrecht, wie die französische Gewerbeaufsicht bei einer Kontrolle befand. U.a. stellte sich heraus, dass zur Verschleierung des Wohnsitzes der Mitarbeiter (Frankreich) von der Fluggesellschaft eine fiktive Wohnadresse in Spanien – die des eigenen Firmensitzes – angegeben worden war. Ein französisches Strafgericht stellte die Manipulation der Entsendebescheinigungen fest, fühlte sich an diese daher nicht gebunden und verurteilte die Airline in der Berufungsinstanz wegen Schwarzarbeit. Die dagegen gerichtete Beschwerde wurde vom französischen Kassationsgerichtshof zurückgewiesen, das Urteil damit rechtskräftig.

Die hier interessierende Besonderheit liegt darin, dass die mit der Strafsache befassten Gerichte kein Augenmerk auf das zur Nichtbeachtlichkeit der Entsendebescheinigung erforderliche vergebliche Dialogverfahren gelegt hatten. Das Berufungsgericht hatte nicht einmal dessen Einleitung abgewartet, der Kassationsgerichtshof nicht seinen Ausgang.

Tatsächlich hatte der spanische Träger in der Zeit zwischen Berufung und Kassation auf ein mit mehrjähriger Verspätung eingereichtes Ersuchen von französischer Seite die Entsendebescheinigung im Jahr 2014 – ebenfalls nach erheblichem Zeitablauf – zunächst für ungültig erklärt. Die zuständige Beschwerdeinstanz hatte diese Entscheidung mit Blick auf die inzwischen verstrichene Zeit und den Umstand, dass die entrichteten Beiträge wegen Verjährung nicht erstattet werden konnten, aber wieder außer Kraft gesetzt.

Zur Vorlage an den EuGH kam es im Rahmen zivilrechtlicher Schadensersatzklagen des französischen Trägers der Altersvorsorge sowie eines ehemaligen Mitarbeiters gegen die Fluggesellschaft. Die französischen Gerichte legten dem EuGH u.a. sinngemäß die Frage vor, ob die Bindung an die E 101-Bescheinigungen bereits dadurch entfällt, dass diese nach rechtskräftigen Feststellungen eines Gerichts des Aufnahmestaates (hier also des Strafgerichts) durch betrügerische Handlungen erlangt wurden. Die Frage stellte sich für die vorlegenden Gerichte vor allem deshalb, weil nach innerstaatlichem französischen Recht Zivilgerichte an die Rechtskraft strafgerichtlicher Entscheidungen gebunden sind.

In seiner Entscheidung kommt der EuGH zu dem Schluss, dass die französischen Behörden und Gerichte zwar über konkrete Indizien verfügten, wonach die E 101-Bescheinigungen auf betrügerische Weise erlangt worden waren, das allein aber nicht ihre Außerachtlassung und damit auch nicht die Feststellung eines Betruges rechtfertigt 4 4 S. insoweit auch BGH, Urteil vom 24.10.2006 – 1 StR 44/06 – juris Rn. 21: Aufhebung einer Verurteilung nach § 266a StGB (Vorenthalten und Veruntreuen von Arbeitsentgelt), weil die Entsendebescheinigung in Ermangelung eines Dialog- und Vermittlungsverfahrens zwischen dem deutschen und portugiesischen Träger weiterhin Bindungswirkung entfaltete. . Der EuGH begründet das vor allem mit dem Prinzip der loyalen Zusammenarbeit zwischen den zuständigen Trägern der einzelnen Mitgliedstaaten. Nur dann, wenn der ausstellende Sozialversicherungsträger es trotz angemessener Frist unterlässt, die Bescheinigungen erneut zu überprüfen bzw. zu den Vorwürfen Stellung zu nehmen, darf ein Gericht diese in Betrugsfällen außer Acht lassen. Das Dialogverfahren muss also stattfinden und das Gericht muss sich seiner (erfolglosen) Durchführung vergewissern. Das war hier von den Strafgerichten nicht beachtet worden. Die falsche Anwendung des Unionsrechts tangiert zwar nicht die Rechtskraft der Verurteilung wegen Betrugs, hat jedoch nach dem Urteil des EuGH zur Folge, dass sich die Zivilgerichte bei einer beabsichtigten Verurteilung zu Schadensersatzzahlungen nicht (allein) darauf stützen können.

2.2 Reichweite der Bindungswirkung von A1-Bescheinigungen

Ging es in der oben beschriebenen Entscheidung des EuGH darum, unter welchen Umständen die Bindungswirkung einer A1-Bescheinigung ausnahmsweise entfallen kann, befasste er sich in einer weiteren Rechtssache (Bouygues travaux publics, Elco construct Bucarest, Welbond armatures) 5 5 Rs. C-17/19 vom 14.5.2020. mit der Frage, ob sich diese Bindungswirkung auch auf nationale Rechtsvorschriften außerhalb des Sozialversicherungsrechts erstreckt.

Die Entscheidung des EuGH geht auf die Vorlage eines französischen Strafgerichts zurück, das bezüglich mehrerer Unternehmen über die Erfüllung des Tatbestands der Schwarzarbeit und der Inanspruchnahme von Dienstleistungen von Schwarzarbeitern zu entscheiden hatte. Die betreffenden Arbeitnehmer waren (teils über Subunternehmen) aus dem Ausland zwecks Bau eines Kernreaktors nach Frankreich entsandt worden. Sie verfügten über A1-Bescheinigungen, wonach das Sozialversicherungsrecht ihres Heimatstaates und damit nicht französisches Recht Anwendung fand. In der Folge wurden in Frankreich für sie weder Sozialabgaben gezahlt noch erfolgte eine nach dortigem Recht erforderliche, namentliche Anmeldung der Beschäftigten bei der für den Beitragseinzug zuständigen Stelle. Letzteres – das vorsätzliche Unterlassen der Anmeldung der Arbeitnehmer – gilt nach französischem Recht als (strafbewehrte) Schwarzarbeit.

Zur strafrechtlichen Verfolgung kam es, nachdem die französische Polizei auf die unzureichenden Arbeitsbedingungen der Arbeitnehmer aufmerksam geworden war. Die Unternehmen beriefen sich zu ihrer Verteidigung bezüglich der unterbliebenen Anmeldung der Arbeitnehmer auf die (in diesem Fall unstreitige) Bindungswirkung der A1-Bescheinigung. Deren Festlegung, dass das Recht des Entsendestaats und nicht französisches Recht Anwendung finde, müsse sich auch auf die in Rede stehende Meldepflicht auswirken.

Der in dritter Instanz mit der Sache befasste französische Kassationshof setzte das Verfahren aus und legte dem EuGH die Frage vor, ob eine A1-Bescheinigung nicht nur hinsichtlich der sozialen Sicherheit, sondern auch im Rahmen des Arbeitsrechts bindend sei. Denn die in Rede stehende vorgeschriebene Meldung der Arbeitnehmer bei den zuständigen französischen Behörden ergibt sich aus dem französischen Arbeitsgesetzbuch.

Der EuGH hat in Übereinstimmung mit seiner bisherigen Rechtsprechung 6 6 Urteil vom 4.10.1991, De Paep, C-196/90; Urteil vom 9.9.2015, X und van Dijk, C-72/14 und C-197/14. festgestellt, dass die Bindungswirkung von E101/A1-Bescheinigungen auf Verpflichtungen aus dem von der VO Nr. 883/2004 erfassten Bereich der sozialen Sicherheit beschränkt ist. Er verweist insoweit auf die in Art. 3 Abs. 1 VO (EG) Nr. 883/2004 aufgezählten Zweige und Systeme. Die Wirkung der Entsendebescheinigung erstreckt sich daher zum Beispiel nicht auf Verpflichtungen, die das Arbeitsverhältnis zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern, insbesondere die Arbeitsbedingungen der Arbeitnehmer betreffen.

Allerdings ist die Entscheidung, ob man sich im Bereich der sozialen Sicherheit befindet, nicht einfach danach zu treffen, in welchem nationalen Gesetzeswerk die jeweilige Regelung zu finden ist. Vielmehr hat der EuGH dem vorlegenden Gericht sinngemäß die Prüfung aufgeben, welchem Zweck gerade die hier in Rede stehende Verpflichtung dient, Arbeitnehmer vor ihrer Einstellung zu melden. Liegt dieser ausschließlich darin, den Anschluss der Arbeitnehmer an den einen oder anderen Zweig des französischen Systems der sozialen Sicherheit (und damit die Beitragszahlung in Frankreich) zu gewährleisten, wäre eine Bindungswirkung der Entsendebescheinigung gegeben – und damit keine Meldepflicht nach französischem Recht. Verfolgt die Meldepflicht aber zumindest teilweise auch den Zweck, Kontrollen über die Einhaltung der arbeitsrechtlich vorgeschriebenen Arbeits- und Beschäftigungsbedingungen sicherzustellen, wäre die A1-Bescheinigung insoweit bedeutungslos. Die Unternehmen hätten ihre Arbeitnehmer in diesem Fall also den zuständigen französischen Behörden melden müssen.

2.3 Wer ist Arbeitgeber international tätiger Arbeitnehmer?

Lkw-Fahrer im internationalen Güterkraftverkehr unterliegen grundsätzlich dort den Rechtsvorschriften zur sozialen Sicherheit, wo der Arbeitgeber seinen Sitz/Tätigkeitsort hat. In einem Urteil vom 16.7.2020 (AFMB u.a.) 7 7 Rs. C-610/18. hat der EuGH klargestellt, dass es bei der Frage, wer Arbeitgeber ist, auf die objektiven Gesamtumstände ankommt und nicht darauf, welches Unternehmen einen Arbeitsvertrag mit dem Arbeitnehmer abgeschlossen hat.

Anlass für die Entscheidung war das folgende Geschäftsmodell: In den Niederlanden ansässige Transportunternehmen hatten mit der AFMB, einer 2011 in Zypern gegründeten Gesellschaft, sog. Flottenmanagementverträge vereinbart; gegen Zahlung einer Provision verpflichtete sich die AFMB, die Verwaltung der von den Transportunternehmen betriebenen Lastkraftwagen zu übernehmen. Die AFMB schloss aber auch die Arbeitsverträge mit den eingesetzten LKW-Fahrern und wurde in diesen als Arbeitgeber bezeichnet. Die Fahrer hatten vor Abschluss dieser Verträge niemals in Zypern gewohnt oder gearbeitet. Sie wohnten vielmehr (weiterhin) in den Niederlanden und wurden von dort aus von den niederländischen Transportunternehmen in zwei oder mehr Mitgliedstaaten eingesetzt.

Für derartige Fallgestaltungen bestimmt Art. 13 Abs. 1 Buchst. b) VO (EG) 883/2004, dass Personen, die in zwei oder mehr Mitgliedstaaten beschäftigt sind und nicht überwiegend in dem Mitgliedstaat ihres Wohnsitzes, dort den Vorschriften unterliegen, wo der Arbeitgeber seinen Sitz/Tätigkeitsort hat.

Da die Fahrer jedenfalls nicht überwiegend in ihrem Wohnsitzstaat Niederlanden beschäftigt waren, kam es für die Frage des anzuwendenden Rechts entscheidend auf den Arbeitgeber an. Der niederländische Sozialversicherungsträger betrachtete nicht die AFMB, sondern die Transportunternehmen als Arbeitgeber und damit niederländisches Recht als maßgeblich. Dagegen wandten die AFMB und einige der Fahrer unter Hinweis auf den Arbeitsvertrag ein, es gelte das Recht Zyperns. Das mit dem nachfolgenden Rechtsstreit befasste niederländische Gericht legte dem EuGH die Frage vor, wer Arbeitgeber der betreffenden Lkw-Fahrer im Hinblick auf das anzuwendende Sozialversicherungssystem sei.

In seinem Urteil führt der EuGH zunächst aus, dass die VO Nr. 883/2004 hinsichtlich der Bestimmung des Begriffs des Arbeitgebers nicht auf nationale Rechtsvorschriften oder Praktiken verweise. Vielmehr sei dieser Begriff unionsrechtlich autonom und einheitlich auszulegen, wobei es neben dem Wortlaut auch auf den Regelungszusammenhang und den mit den Regelungen verfolgten Zweck ankomme.

Hinsichtlich des üblichen Sprachgebrauchs geht der EuGH davon aus, dass zwischen „Arbeitgeber“ und „Personal“ im Allgemeinen ein Über- und Unterordnungsverhältnis bestehe. Insoweit komme es aber nicht entscheidend auf den Abschluss eines Arbeitsvertrages, sondern auf die praktische Umsetzung des Arbeitsverhältnisses an. Es müsse daher geprüft werden, wem ein Arbeitnehmer tatsächlich untersteht, wer in Wirklichkeit den Lohn zahlt und wer den Arbeitnehmer entlassen darf. All diese Attribute trafen im konkreten Fall allein auf die niederländischen Transportunternehmen zu, die nach dem Urteil des EuGH damit auch als Arbeitgeber zu betrachten sind.

Mit seiner Entscheidung hat der EuGH die Möglichkeiten, sich mit Hilfe künstlicher vertraglicher Konstruktionen hinsichtlich des anzuwenden Rechts in das Sozialversicherungssystem des Wunschlandes zu manövrieren, weiter eingeschränkt.

3. Entscheidungen des BSG mit Auslandsbezug

3.1 Zum Ghettobegriff des ZRBG

Am 20.5.2020 – B 13 R 9/19 R – hat das BSG entschieden, dass ein Ghettoaufenthalt im Sinne des ZRBG auch bei erzwungenem Verbleib im eigenen Haus vorliegen kann.

Konkret ging es um einen 1929 geborenen jüdischen NS-Verfolgten, der von Januar 1940 bis März 1942 als Kind gemeinsam mit Mutter und Geschwistern in einer kleinen polnischen Gemeinde im sog. Generalgouvernement gelebt hatte. Zu den nur 100 Bewohnern des Ortes zählten drei jüdische Familien mit insgesamt 21 Mitgliedern. Der Kläger führte unter Bewachung Reinigungsarbeiten aus, wofür er eine Extraportion Essen erhielt. Bedingt durch die dörfliche Umgebung und die damit verbundenen wirksamen Kontrollen durch die Besatzer sowie die feindlich gesonnenen „volksdeutschen“ Nachbarn war ihm ein Verlassen seines Wohnhauses faktisch nur zur Beschäftigung und für lebenswichtige Besorgungen möglich. Bei einer derart intensiven räumlichen Freiheitsbeschränkung handelt es sich nach dem Urteil des BSG um eine Zwangslage, die einem Ghettoaufenthalt vergleichbar ist und daher die Anwendung des ZRBG jedenfalls im Wege der Analogie rechtfertigt.

Das ZRBG selbst definiert den Begriff des Ghettos nicht. Der 4. Senat des BSG hatte 2006 zwar eine besonders intensive Freiheitsbeeinträchtigung und eine Beschränkung des Aufenthalts auf einen zugewiesenen Wohnbezirk vorausgesetzt, allerdings nicht in den tragenden Gründen seiner Entscheidung 8 8 BSG, Urteil vom 14.12.2006, B 4 R 29/06 R – juris Rn. 84ff. . Die RV-Träger orientierten sich in ihrer Verwaltungspraxis im wesentlichen an der vom LSG Nordrhein-Westfalen ebenfalls 2006 entwickelten sog. 3-Elementen-Theorie 9 9 Grundlegend LSG NRW, Urteil vom 15.12.2006 – L 13 RJ 112/04 – juris Rn. 37; LSG NRW, Urteil vom 13.02.2008 – L 8 R 153/06 – juris Rn. 35. . Danach müssen die Merkmale der Konzentration der Verfolgten, ihrer Absonderung durch Zuweisung bestimmter Wohngebiete und der internierungsähnlichen Unterbringung in jedem Fall erfüllt sein 10 10 Zur Entwicklung des Ghettobegriffs in der Rechtsprechung ausführlich Schnell, RVaktuell 3/4/2020, S. 77, 78ff. .

Der 13. Senat des BSG betrachtet die „3-Elementen-Theorie“ jedoch in seinem Urteil vom 20.5.2020 als überholt. Es habe eine eigenständige Auslegung des Begriffs Ghetto im Kontext des ZRBG unter Anwendung aller anerkannten juristischen Auslegungsmethoden zu erfolgen, innerhalb derer historische Erkenntnisse – auch wenn die Sicht der Historiker zum Ghettobegriff vom Senat nicht als entscheidend angesehen wird – berücksichtigt werden müssten. Die Beschreibungen nationalsozialistischer Ghettos aus fachlich-historischer Sicht hätten ergeben, dass sich keine zeitlich und räumlich für alle Ghettos gleichermaßen geltenden Strukturen ausmachen ließen; vielmehr zeige sich „ein von Ungleichzeitigkeit und Diversität (…) geprägtes Bild“.

Allerdings hat der Senat in seiner Entscheidung die vom LSG Nordrhein-Westfalen entwickelten Kriterien für einen zwangsweisen Aufenthalt in einem Ghetto weder in Gänze abgelehnt noch durch eigene Merkmale ersetzt, sondern seinerseits von einer abschließenden Bestimmung des Ghettobegriffs abgesehen. Fest steht nach dem Urteil, dass mit Blick auf die entschädigungsrechtliche teilweise Überlagerung des Rentenversicherungsrechts durch das ZRBG ein maximal weiter Ghettobegriff zu Grunde zu legen ist, der sich gerade noch in den Grenzen dessen bewegt, was nach dem bisherigen Sprachgebrauch und vor dem Hintergrund aktueller geschichtswissenschaftlicher Erkenntnisse als Ghetto infrage kommen könnte. Das seien, so das BSG, letztlich alle abgrenzbaren Orte, die Juden und anderen Gruppen von Verfolgten innerhalb des NS-Einflussbereichs zwangsweise zum Wohnen und regelmäßigen Aufenthalt zugewiesen waren und an denen gleichwohl noch eine entgeltliche Beschäftigung aus eigenem Willensentschluss möglich war. Nicht erforderlich sind hiernach weitere Merkmale wie eine jüdische Eigenverwaltung oder Arbeitsorganisation, Reste einer urbanen Struktur, eine überwiegende Unterbringung im Familienverband oder über die Aufenthaltsbeschränkung hinausgehende internierungsähnliche Wohn- und Lebensumstände.

In Anbetracht der sehr umfangreichen Ausführungen zum Ghettobegriff, die einen Großteil der Entscheidungsgründe ausmachen, bleiben dessen Konturen bemerkenswert unscharf. Auch der 13. Senat selbst hat sich trotz der oben beschriebenen Situation des Klägers und trotz der von ihm postulierten maximal weiten Auslegung – insoweit anders als das LSG Schleswig-Holstein als Berufungsinstanz – nicht dazu durchringen können, die geschilderten Lebensumstände des Klägers unter den Begriff des Ghettos im Sinne des ZRBG zu subsumieren. Vielmehr hat er offengelassen, ob dies „noch“ möglich ist und den Fall durch eine analoge Anwendung des § 1 ZRBG entschieden.

Für eine dem Ghettoaufenthalt vergleichbare Freiheitsbeschränkung fordert das BSG eine Intensität des Aufenthaltszwangs, die in ihrer konkreten Wirkung ein Verlassen des räumlichen Lebensbereichs nach freiem Belieben nahezu ausschließt und damit deutlich über die Beschränkungen hinausgeht, die einzeln oder kumulativ mit einer Kennzeichnungspflicht, einer nächtlichen Ausgangssperre und dem grundsätzlichen Verbot einer gemeindeüberschreitenden Wohnsitzverlegung verbunden sind. Denn das ZRBG unterscheide bewusst zwischen Verfolgungssituationen, denen die gesamte, insbesondere jüdische Bevölkerung im NS-Einflussgebiet ausgesetzt war und den spezifischen Zwangssituationen in einem Ghetto. Dementsprechend hat das BSG im konkreten Fall die Situation des dortigen Klägers mit der allgemein für die jüdische Bevölkerung bestehenden Verordnungslage im sog. Generalgouvernement verglichen und ausgeführt, dass die den Kläger treffenden Freiheitsbeschränkungen deutlich darüber hinausgingen.

Ob Verfolgte im räumlichen Lebensbereich zum Zeitpunkt ihrer Beschäftigung einem die Gleichstellung mit einem Ghettoaufenthalt rechtfertigenden intensiven Aufenthaltszwang unterlagen, ist nach Ansicht des BSG anhand konkreter Anhaltspunkte im Einzelfall festzustellen. Der 13. Senat betont, dass es einer besonderen Sorgfalt in Bezug auf die Ermittlung der tatsächlichen Grundlagen und bei der Begründung der Gleichstellung bedürfe.

Um im Sinne einer möglichst weitgehenden Verwirklichung der Rechte der von dem Urteil betroffenen NS-Verfolgten vergleichbare Fallgestaltungen aufzufinden, haben die RV-Träger Ende 2020 begonnen, rd. 5 500 Vorgänge von Amts wegen zu überprüfen. Im Zuge der inzwischen weitestgehend abgeschlossenen Aktion konnten bislang in mindestens 200 Fällen Leistungen nach dem ZRBG bewilligt werden 11 11 Stand: Dezember 2021. .

3.2 Multilaterale Zusammenrechnung von Versicherungszeiten

Am 26.2.2020 hatte der 5. Senat des BSG im Verfahren – B 5 R 21/18 R – zum Instrument der multilateralen Zusammenrechnung eine Entscheidung zu treffen. Dieses beinhaltet, dass zur Prüfung der Anspruchsvoraussetzungen für eine Rentenleistung neben dem innerstaatlichen Recht nach dem Sechsten Buch Sozialgesetzbuch (SGB VI) einschließlich seiner Nebengesetze mehr als eine Rechtsgrundlage aus dem zwischen- oder überstaatlichen Recht zur Anwendung kommt. Das BSG hat in der vorliegenden Entscheidung geurteilt, dass die Zusammenrechnung mehrerer in verschiedenen Staaten zurückgelegter Zeiten nach innerstaatlichem deutschem Recht grundsätzlich möglich ist. Sie habe nur dann nicht zu erfolgen, wenn zwischen- oder überstaatliches Recht dem entgegenstehe 12 12 BSG Urteil vom 26.2.2020 (B 5 R 21/18 R) Rz. 23. . Die Entscheidung hat die Deutsche Rentenversicherung veranlasst, ihre Rechtsauffassung zur multilateralen Zusammenrechnung zur überprüfen und anzupassen 13 13 Verbindliche Entscheidung, RVaktuell 1/2021. .

Der Entscheidung lag folgender Sachverhalt zugrunde: Die 1940 in Serbien geborene Klägerin war im Lauf ihrer Erwerbsbiographie im früheren Jugoslawien (Serbien), in Frankreich und in Deutschland beschäftigt gewesen. Dabei hatte sie nach den Feststellungen des LSG rentenrechtliche Zeiten nach dem damaligen jugoslawischen Recht im Umfang von 46 Kalendermonaten, nach dem französischen Recht von 12 Kalendermonaten sowie nach deutschem Recht von 364 Kalendermonaten zurückgelegt. Die ausländischen Zeiten waren jeweils vom zuständigen Träger bestätigt worden. Insgesamt hatte die Klägerin also unter Berücksichtigung aller ausländischen Zeiten 422 Kalendermonate zurückgelegt und damit die Wartezeit von 35 Jahren (420 Kalendermonate) für die Altersrente für Schwerbehinderte nach § 37 SGB VI a.F. erfüllt.

Die beklagte Deutsche Rentenversicherung Baden-Württemberg rügte mit ihrer Revision u.a., dass die in Deutschland, Frankreich und Jugoslawien zurückgelegten rentenrechtlichen Zeiten für die Erfüllung der Wartezeit entsprechend der Rechtsauffassung der Deutschen Rentenversicherung nicht zusammengerechnet werden dürften.

Das BSG verwies die Sache an das LSG zurück, weil der Streitgegenstand mangels ausreichender Feststellungen des LSG nicht abschließend beurteilt werden konnte. So hatte das LSG von der Feststellung abgesehen, wie hoch die alternativ in Betracht kommende Altersrente für Frauen bei Anwendung der multilateralen Zusammenrechnung ausfallen würden, damit bei gleicher Rentenhöhe die Rangfolgenregelung des § 89 SGB VI den Ausschlag gegeben hätte und anderenfalls die höhere Rente zu zahlen gewesen wäre. Darüber hinaus trug das BSG dem LSG auf, im wieder zu eröffnenden Berufungsverfahren nach § 75 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) die Beiladung der für Fragen zu jugoslawischen Versicherungszeiten zuständigen Deutschen Rentenversicherung Bayern Süd nachzuholen.

Auch wenn sich das BSG zur abschließenden Entscheidung mangels vorinstanzlicher Feststellungen und Prozesshandlungen außerstande sah, konnte es dennoch zur materiell-rechtlichen Frage der multilateralen Zusammenrechnung eine Entscheidung treffen.

Es kam dabei zum Ergebnis, dass eine Zusammenrechnung der deutschen, französischen Zeiten möglich ist, da sie nämlich „weder nach der EWGV 1408/07 noch nach dem deutsch-jugoslawischen Abkommen ausgeschlossen“ ist 14 14 BSG, a.a.O. . Damit wird der gemeinsame Schutzzweck der zwischenstaatlichen und überstaatlichen Regelungen auf dem Gebiet der RV definiert und ihm zur allgemeinen Geltung verholfen. Der Schutzzweck 15 15 Das BSG verwandte in diesem Zusammenhang bereits den Begriff „Normzweck“ (BSG - Großer Senat - Beschluss vom 29.5.1984 GS 1-3/82 S. 24 – BSGE 57 23, 31ff, bei juris Rn.35). all dieser Regelungen besteht darin, dass Versicherte ihre Ansprüche auf ihre gesamte Versicherungs- und Erwerbsbiographie begründen und alle beitragsrelevanten Sachverhalte erfasst. Das stellte der Große Senat des BSG bereits 1984 fest, indem er erkannte, dass die genannten Regelungen zur Erleichterung der Freizügigkeit eine Aufhebung der territorialen Grenzen zwischen den Vertragsstaaten fingieren, in denen der Versicherte seine Versicherungs- und Erwerbsbiographie zurückgelegt hat 16 16 BSG a.a.O., bei juris Rn. 34. . Die durch diese Fiktion ermöglichte Zusammenrechnung mehrerer in verschiedenen Staaten zurückgelegten Zeiten fußt auf der unmittelbaren innerstaatlichen Geltung zwischen- und überstaatlicher Regelungen, die sich aus der Transformation eines zwischen- oder überstaatlichen Abkommens durch das Zustimmungsgesetz nach Art. 59 Abs. 2 Satz 1 GG ergibt 17 17 BSG Urteil vom 26.2.2020 (Az. B 5 R 21/18 R) Rz. 23. Damit bestätigt das BSG ältere Rechtsprechung – vgl. BSG Urteil vom 8.3.1972 – 11 RA 46/71, S.5. – BSGE 34, 90, 93; BSGE 57, 23, 28f.). Der „Anwendungsschlüssel“ dieses Grundsatzes für das SGB ist in § 6 SGB IV verankert.

Das BSG bestätigt ferner, dass dieser Grundsatz nur dann nicht zur Anwendung kommt, wenn zwischen- oder überstaatliches Recht dem entgegensteht 18 18 BSG, ebd. . Im vorliegenden Fall hatte das BSG folgerichtig festgestellt, dass die multilaterale Zusammenrechnung weder durch zwischen- noch durch überstaatliches Recht ausgeschlossen ist, also weder durch das Europarecht noch durch das deutsch-jugoslawische Sozialversicherungsabkommen von 1968 (DJSVA). In der Praxis hat sich für diesen Ausschluss der Begriff „Abwehrklausel“ etabliert 19 19 Eine Abwehrklausel ist regelmäßig in bilateralen Sozialversicherungsabkommen enthalten. Eine Ausnahme bilden die neueren Abkommen mit Blick auf Zeiten, die in einem EU/EWR-Mitgliedstaat bzw. der Schweiz zurückgelegt worden sind (so etwa das am 1.5.2013 in Kraft getretene SVA-Brasilien). . Aus dem Europarecht lässt sich eine Abwehrklausel nicht ableiten, wie der EuGH in einer Reihe von Entscheidungen festgestellt hat. Im Gegenteil erlaubte es nach Auffassung des EuGH schon die VO (EWG) Nr. 1408/71 20 20 Das gilt auch für die Nachfolgevorschrift VO (EG) Nr. 883/2004. , Versicherungszeiten in anderen Mitgliedstaaten neben Versicherungszeiten in Drittstaaten zu berücksichtigen 21 21 EuGH-Urteil vom 5.7.1988 – 21/87 „Borowitz“– SozR 6050 Art 46. Nr. 26. S. 73. . Das gilt, obwohl die Vorschriften aus bilateralen Abkommen eines Abkommens eines Mitgliedstaates mit einem Drittstaat nicht als Rechtsvorschriften dieses Mitgliedstaates im Sinne der VO (EWG) Nr. 1408/71 gelten 22 22 EuGH-Urteil vom 2.8.1993 C-23/92 „Grana-Novoa“ SozR 3-6050 Art. 3 Nr. 4 S. 16f ; www.juris.de/perma?d=KSRE011833403, Rn. 26f. . Diese Rechtsprechung bestätigte der EuGH erneut mit der Gottardo-Entscheidung, indem er feststellte, dass Angehörige eines Mitgliedstaates in den Genuss der Zusammenrechnung mit Zeiten aus einem Drittstaat kommen müssten, wenn sowohl Erststaat als auch Mitgliedstaat mit diesem Drittstaat ein bilaterales Abkommen geschlossen haben 23 23 EuGH-Urteil vom 15.1.2002 C-55/00 „Gottardo“ – SoZR 3-6035 Art. 39 Nr. 1, http://www.juris.de/perma?d=KSRE032531008www.juris.de/perma?d=KSRE032531008, Rn.2, 39. . Auch das DJSVA enthält keine Abwehrklausel wie der Große Senat des BSG bereits mit Beschluss vom 29.5.1984 insbesondere mit Blick auf Art. 2 Abs. 2 DJSVA feststellte 24 24 BSG - Großer Senat - Beschluss vom 29.5.1984 GS 1-3/82 S. 24 – BSGE 57 23, 31ff. .

Die Deutsche Rentenversicherung, der die Beklagte angehört, hat die Entscheidung zum Anlass genommen, ihre Rechtsauffassung zu überprüfen und im Ergebnis anzupassen 25 25 Verbindliche Entscheidung, RVaktuell 1/2021. . Die nunmehr aufgegebene Rechtsauffassung war mit der Feststellung des EuGH in der „Grana-Novoa“-Entscheidung begründet worden, wonach bilaterale Abkommen über soziale Sicherheit nicht zu den Rechtsvorschiften im Sinne des Art. 1 Buchstabe j VO (EWG) Nr. 1408/71 gehören 26 26 EuGH-Urteil vom 2.8.1993 C-23/92 „Grana-Novoa“ SozR 3-6050 Art. 3 Nr. 4 S. 16f. . Mit der hiesigen Feststellung des BSG, dass gerade „Grana-Novoa“ die Zulässigkeit der multilateralen Zusammenrechnung bestätigt, war dem Argument der Deutschen Rentenversicherung die Grundlage entzogen. Entsprechend hat der Bundesvorstand der Deutschen Rentenversicherung Bund auf Grundlage von §138 Abs. 1 Satz 2 Nr. Buchst. g, Abs. 2 Satz 1 SGB VI die verbindliche Entscheidung getroffen, dem Urteil des BSG über den Einzelfall hinaus zu folgen 27 27 Verbindliche Entscheidung, RVaktuell 1/2021. . Gegenstand dieser Entscheidung war darüber hinaus, dass die multilaterale Zusammenrechnung nur für die Wartezeitermittlung zu erfolgen hat, nicht hingegen bei der Rentenberechnung. Ferner war festzustellen, dass mit Blick auf die Überprüfung bestandskräftiger Bescheide nach § 100 Abs. 4 SGB VI eine ständige Rechtsprechung des BSG vorliegt.

Auswirkungen für die Praxis hat die Entscheidung auf Fälle, bei denen einerseits das DJSVA und andererseits die VO(EWG) Nr. 1408/71 und die VO(EG) Nr. 883/2004 Anwendung finden. Einen anderen Fall stellt das Deutsch-Israelische Sozialversicherungsabkommen im Zusammenspiel mit den genannten europäischen Verordnungen dar sowie entsprechend das DPRA 1975 28 28 Abkommen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Volksrepublik Polen über Renten- und Unfallversicherung vom 9.10.1975. . Allen drei Abkommen ist gemeinsam, dass sie nicht über eine Abwehrklausel im beschriebenen Sinne verfügen.

RVaktuell 1/2022
Seit nunmehr 20 Jahren existiert das Rentensplitting in der gesetzlichen Rentenversicherung (RV). Zum 1.1.2002 eingeführt, ermöglicht es den Ehegatten, Anrechte der gesetzlichen RV ohne Ehescheidung solidarisch untereinander aufzuteilen. Seither wurden die Grundzüge des Rentensplittings nicht wesentlich verändert. Hat sich das Rentensplitting in den letzten 20 Jahren also bewährt? Die Antwort lautet weder „ja“ noch „nein“. Das Rentensplitting bietet Vorteile, hat aber auch Nachteile. Die berühmten zwei Seiten einer Medaille finden sich auch hier. Der Beitrag beleuchtet das Rentensplitting, das in der Praxis eher ein Schattendasein führt.

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