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Reha Veranstaltungen

Den Wandel proaktiv mitgestalten: Kongressbericht zum 32. Rehabilitationswissenschaftlichen Kolloquium 2023

RVaktuell 1/2023
„Veränderung fördern – Teilhabe stärken – Zukunft gestalten“: Unter diesem Kongressmotto traf sich die Reha-Branche vom 20. bis 22.2.2023 im Hannover Congress Center (HCC), um sich auf dem 32. Reha-Kolloquium endlich wieder persönlich auszutauschen und zu vernetzen. Für Personen, die nicht nach Hannover reisen konnten, wurden die Programmhighlights per Livestream online übertragen und allen Teilnehmenden im Nachgang als Video-On-Demand-Angebot zur Verfügung gestellt. Bei den Teilnehmenden stieß das angebotene Format „Präsenz Plus“ auf große Zustimmung. Das 32. Reha-Kolloquium 2023 wurde vom Dezernat Reha-Wissenschaften der Deutschen Rentenversicherung Bund, der Deutschen Rentenversicherung Braunschweig-Hannover und der Deutschen Gesellschaft für Rehabilitationswissenschaften (DGRW) veranstaltet.

Das 32. Reha-Kolloquium 2023 in Zahlen

  • Mit über 1 500 registrierten Teilnehmenden und davon 1 400 Kongressgästen in Hannover wurden Anmeldezahlen aus „Vor-Corona-Zeiten“ erreicht.
  • In mehr als 70 Vortrags- und Diskussionsveranstaltungen wurde an drei Kongresstagen in bis zu sieben Parallelveranstaltungen ein vielfältiges wissenschaftliches Programm geboten.
  • Auf über 80 wissenschaftlichen Postern wurden Fragestellungen und Studien zum gesamten Themenspektrum der Reha-Wissenschaften visualisiert.
  • 900 Minuten Video-on-Demand-Angebot stehen allen Teilnehmenden im Nachgang der Veranstaltung zur Verfügung.
  • An 35 Ausstellungsständen wurden Unternehmen, Dienstleistungen und Produkte der Reha-Branche vorgestellt.

„Veränderungskultur fördern – Teilhabe stärken – Zukunft gestalten“

Sowohl die Folgen der COVID-19-Pandemie und die Auswirkungen des russischen Angriffskrieges in der Ukraine als auch die Bewältigung des digitalen, ökologischen und demographischen Wandels führen in der Reha-Landschaft zu einer andauernden Anpassungs- und Veränderungsdynamik. Gleichzeitig wird es für die Rentenversicherungsträger (RV-Träger) und Rehabilitationseinrichtungen in den nächsten Jahren verstärkt darum gehen, sehr konkrete gesetzliche Änderungen umzusetzen und erfolgreich erprobte, innovative Modellprojekte aus dem Bundesprogramm „Innovative Wege zur Teilhabe am Arbeitsleben – rehapro“ in die Verwaltungs- und Reha-Praxis zu überführen. Beim diesjährigen Kongress wurde aus unterschiedlichen Perspektiven vermittelt, wie eine zielführende Innovations- und Veränderungskultur etabliert werden kann, um die vielfältigen Entwicklungstrends proaktiv mitzugestalten und damit die bestmögliche Teilhabe für Menschen mit gesundheitlichen Beeinträchtigung zu erreichen und nachhaltig zu sichern.

Kongresseröffnung und Grußworte

In ihrer Eröffnungsrede unterstrich Gundula Roßbach, Präsidentin der Deutschen Rentenversicherung Bund, dass sich die Rehabilitation mitten im Transformationsprozess befinde. „Es ist an uns, Veränderungen anzunehmen, sie zu gestalten, hinzuzulernen und beherzt immer wieder neue Wege zu gehen.“ Zu diesem Wandel ins Gespräch zu kommen, Ideen weiterzuentwickeln und neue Impulse zu setzen, stehe im Mittelpunkt des Kongresses. Weitere Grußworte sprachen Dr. Andreas Philippi, Minister für Soziales, Arbeit, Gesundheit und Gleichstellung des Landes Niedersachsen, Thomas Hermann, Bürgermeister der Landeshauptstadt Hannover, Jan Miede, Geschäftsführer der Deutschen Rentenversicherung Braunschweig-Hannover und regionaler Gastgeber sowie Prof. Dr. Thorsten Meyer, Präsident der Deutschen Gesellschaft für Rehabilitationswissenschaften (DGRW).

Den Wandel als neue Normalität begreifen

Den Auftakt im Kongressprogramm machte Prof. Dr. Jutta Rump, Hochschule für Wirtschaft und Gesellschaft Ludwigshafen, mit ihrer Eröffnungskeynote „Neue Normalität in der Arbeitswelt – Veränderung als Normalzustand“. Als Professorin für Betriebswirtschaftslehre und international anerkannte Prozessbegleiterin in großen Unternehmen beleuchtete sie das Thema „Veränderungskultur“ aus der spannenden Perspektive der Organisationsentwicklung. Sie berichtete, wie Veränderungsprozesse in Organisationen erfolgreich umgesetzt werden können und woran sie häufig scheitern. Rump betonte, dass sowohl Wirtschaft als auch Gesellschaft fortlaufende Transformationsprozesse und unvorhersehbare Disruptionen bewältigen müssen. Um die Motivation und die Leistungsfähigkeit aller Beschäftigten zu bewahren, sollten daher die Talente und Stärken jedes einzelnen Beschäftigten optimal genutzt und eingesetzt werden. „Wir können auf niemanden verzichten“ sagte die Leiterin des Instituts für Beschäftigung und Employability.

Innovative Konzepte und Prozesse zur Weiterentwicklung von Teilhabeleistungen

Seit 2019 setzt das Bundesministerium für Arbeit und Soziales (BMAS) das Bundesprogramm „Innovative Wege zur Teilhabe am Arbeitsleben – rehapro“ um. Im Rahmen der großangelegten Förderinitiative können RV-Träger und Jobcenter Modellvorhaben durchführen, um innovative Ansätze in den Bereichen Prävention, Rehabilitation und Nachsorge zu erproben. Ziel ist es, wirksame Ansätze zu identifizieren und sie im Regelgeschäft der Jobcenter und RV-Träger zu verstetigen, so dass alle Menschen mit gesundheitlichen Beeinträchtigungen davon profitieren können. Mittlerweile liegen aus Projekten des ersten Förderaufrufs erste Ergebnisse vor, die im Rahmen von wissenschaftlichen Postern und Vorträgen beim Kongress präsentiert wurden. In einem Diskussionsforum wurden innovative Konzepte zur Bearbeitung von Schnittstellen zwischen Jobcentern und RV-Trägern anhand von konkreten Modellprojekten vorgestellt und diskutiert. Geplante oder frisch gestartete Modellprojekte wurden im Format der „Innovationswerkstatt“ besprochen. In den Diskussionen wurde deutlich, dass mit „rehapro“ wichtige Impulse und innovative, bisher nicht gewagte Akzente für Rehabilitation und Teilhabe gesetzt werden. Weitere Informationen zum Bundesprogramm finden Sie unter www.modellvorhaben-rehapro.de.

 

Erfolgreiche Umsetzung von Innovationen: Forschung meets Praxis meets Verwaltung

Doch wie können innovative Ansätze zielführend in die Praxis überführt werden? In welchen zeitlichen Dimensionen geschieht das? Welche Umsetzungshürden existieren und wie passen Innovation und Krise eigentlich zusammen? Das diskutierten Brigitte Gross, Direktorin der Deutschen Rentenversicherung Bund, Jan Miede, Dr. Petra Becker, Vorständin der Dr. Becker Klinikgruppe, und Prof. Dr. Anke Menzel-Begemann von der Fachhochschule Münster im Rahmen der zentralen Podiumsdiskussion am Kongressdienstag. Einen spannenden Diskussionsimpuls aus Sicht der Wissenschaft lieferte Prof. Dr. Michel Wensing, Professor für Implementierungswissenschaft an der Universität Heidelberg, mit seinem Plenarvortrag „Implementierung in die Praxis: Brauchen wir eine Brücke oder einen Landeplatz?“. Auf dem Podium war man sich einig: Damit Veränderungskultur in der Rehabilitation gelebt werden kann, brauche es zum einen Akteure, die zu Innovation bereit sind und zum anderen einen entsprechenden Rahmen, eine Basis, eine Vision. Gross betonte, dass sich die Rentenversicherung mit einem gemeinsamen Strategiepapier einen solchen Rahmen gegeben habe.

Wie gesund werden wir alt?

Prof. Dr. Siegfried Geyer, Medizinische Hochschule Hannover (MHH), beschäftigte sich in seinem Plenarvortrag „Später krank und länger gesund? Die langzeitliche Morbiditätsentwicklung im Kontext des demografischen Wandels“ mit der spannenden Frage, wie sich im Kontext steigender Lebenserwartung das Morbiditätsspektrum entwickelt. Die im Vortrag präsentierten Befunde basieren auf der Auswertung anonymisierter Daten von über drei Millionen Krankenkassenversicherten. Das Forschungsteam von Geyer konnte zeigen, dass die Raten von z.B. Herzinfarkt, Schlaganfall und Lungenkrebs im höheren und hohen Alter über die Zeit abnehmen, was insgesamt als positiv zu werten sei. Bei Diabetes mellitus Typ 2 („Altersdiabetes“) und Übergewicht/Adipositas verhalte es sich jedoch anders: Hier habe der Anteil in der Bevölkerung zugenommen – vor allem bei den unter 40-Jährigen. Auch die Multimorbidität sei gestiegen, d.h., immer mehr Menschen haben sechs oder mehr Erkrankungen gleichzeitig. Die Befunde würden nahelegen, dass sich der sich über die Jahre verbessernde Gesundheitszustand der Älteren nicht in die später geborenen Kohorten fortsetzt. Die Forschenden vermuten, dass die Zunahme gesundheitsbeeinträchtigender Lebensweisen und sitzender Tätigkeiten mögliche Ursachen sind und Ansatzpunkte für Prävention und Rehabilitation darstellen.

Rehabilitation und die Bewältigung von COVID-19-Folgen

Bei der Bewältigung von COVID-19-Folgen kommt der Rehabilitation eine wichtige Rolle zu. In den vergangenen drei Pandemiejahren wurden dazu in der Forschung wichtige Erkenntnisse gewonnen und in der Praxis wertvolle Erfahrungen gesammelt. Auch die Deutsche Rentenversicherung fördert dazu verschiedene Forschungsprojekte, die in Hannover vorgestellt wurden. In einem Diskussionsforum wurden Rehabilitationsbedarfe und -möglichkeiten bei Post-COVID-Syndrom insbesondere aus klinischer und gutachterlicher Perspektive besprochen. Die bisher vorliegenden Ergebnisse zeigen, dass Betroffene auf vielfältige Weise von einer Rehabilitation profitieren. Dr. Claudia Ellert brachte als Vertreterin für Long- und Post-COVID-Patientinnen und -Patienten die Sichtweise der Betroffenen ein. Es wurde festgehalten, dass es zum besseren Verständnis spezifischer Symptomcluster noch weiterer (Grundlagen-)Forschung bedarf. Daneben gehe es auch darum, relevante Akteure im Versorgungs- und Arbeitsalltag, wie z.B. Hausärztinnen und Hausärzte sowie Arbeitgeberinnen und Arbeitgeber, weiter für Langzeitfolgen von COVID-19 zu sensibilisieren und mit allen Beteiligten in einem konstruktiven Dialog zu bleiben.

Premiere: Live-Podcast als innovatives Format der Wissenschaftskommunikation

Eine Premiere gab es beim diesjährigen Kongress auch. Denn der von der Deutschen Rentenversicherung initiierte Forschungsschwerpunkt zur Weiterentwicklung der beruflichen Rehabilitation geht neue Wege – und zwar ins Ohr. Der Wissenschaftspodcast „rehalitätsnah“ mit Dr. Marco Streibelt, Leiter des Dezernats Reha-Wissenschaften der Deutschen Rentenversicherung Bund, stellt seit Dezember 2022 die geförderten Forschungsteams und Studien vor, die individuelle und passgenaue Konzepte für die Zukunft der beruflichen Rehabilitation entwickeln sollen. Folge für Folge wird monatlich ein Forschungsprojekt „rehalitätsnah“ vorgestellt. Auf dem 32. Reha-Kolloquium in Hannover ging das Format einen Schritt weiter und zeigte sich exklusiv der Öffentlichkeit: Bei „rehalitätsnah“ on stage konnte die Aufzeichnung der Märzausgabe live miterlebt werden. Zu Gast beim Interview auf der Bühne war Prof. i. R. Dr. Ernst von Kardorff, Dipl.-Psychologe und Dipl.-Soziologe, der mit seinen Mitarbeitenden der Berliner Werkstatt für Sozialforschung im Projekt „WePsyBTAM“ die Zugänge psychisch Kranker in Berufliche Trainingszentren (BTZ) und ihre Wege in Qualifizierung und in Arbeit untersucht. Der Podcast kann auf allen gängigen Podcast-Plattformen wie Spotify, Apple und Deezer gehört werden. Weitere Details zum Forschungsschwerpunkt „Berufliche Rehabilitation“ finden Sie hier.

Resümee & Ausblick

Im Rahmen der Abschlussveranstaltung würdigte Dr. Susanne Weinbrenner, Leitende Ärztin und Leiterin der Abteilung Prävention, Rehabilitation und Sozialmedizin der Deutschen Rentenversicherung Bund, das hohe Engagement aller Mitwirkenden bei der erfolgreichen Durchführung der Veranstaltung. Allen Referierenden, Diskutierenden und Ausstellenden dankte sie für die aktive Beteiligung und die inspirierenden Beiträge aus Forschung und Praxis. Die beachtliche Anzahl von Teilnehmenden, Veranstaltungen und Themen zeige, dass das Reha-Kolloquium seinen Stellenwert als wichtigster Reha-Kongress im deutschsprachigen Raum wiederholt eindrucksvoll unterstreichen konnte. Das 33. Reha-Kolloquium findet voraussichtlich vom 18. bis 20.3.2024 in Bremen statt. Weitere Informationen erhalten Sie unter www.reha-kolloquium.de.

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