1. Verfassungsmäßigkeit der Regelungen zur Zurechnungszeit bei Bestandsrenten
Nach dem RV-Leistungsverbesserungs- und -Stabilisierungsgesetz vom 28.11.2018 (BGBl I S. 2016) wurde die Zurechnungszeit des § 59 Sechstes Buch Sozialgesetzbuch (SGB VI) verlängert.
Die stufenweisen Verbesserungen durch die Einführung des § 253a SGB VI greifen für Renten, die nach dem 31.12.2017 begonnen haben. Mit dem Beschluss vom 12.6.2023 hat das BVerfG (Az.: 1 BvR 847/23) eine Verfassungsbeschwerde hinsichtlich der Nichtbegünstigung der vor 2019 bewilligten Bestandsrenten in § 253a Abs. 2 SGB VI nicht zur Entscheidung angenommen. Der Beschwerdeführer hatte einen zwingenden Annahmegrund, hier seine mögliche Grundrechtsverletzung im Hinblick auf den Gleichbehandlungsgrundsatz des Art. 3 Abs. 1 GG, nicht hinreichend dargetan.
Seit dem Jahr 2004 hatte der Beschwerdeführer eine Rente wegen Erwerbsminderung aus der gesetzlichen RV bezogen. Der Rentenversicherungsträger (RV-Träger) hatte der Rentenberechnung eine Zurechnungszeit ab dem Eintritt der maßgeblichen Erwerbsminderung des Beschwerdeführers bis zur Vollendung des 60. Lebensjahrs zugrunde gelegt – so wie nach dem zum Rentenbeginn dieser Rente geltenden Recht vorgesehen.
Der Beschwerdeführer beantragte nach dem Inkrafttreten des § 253a SGB VI im Jahr 2019 eine Neuberechnung der Rente unter Verlängerung der Zurechnungszeit bis zur Vollendung des 65. Lebensjahres und acht Monaten – gem. § 253a Abs. 2 SGB VI in der ab 1.1.2019 geltenden Fassung der Norm. Der Antrag blieb auch im Widerspruchsverfahren ohne Erfolg, ebenso die Rechtsbehelfe vor dem Sozialgericht und Landesozialgericht. Nach einer Nichtzulassungsbeschwerde verlief die Revision des Beschwerdeführers schließlich (Urteil des BSG vom 10. November 2022, Az.: B 5 R 29/21 R) erfolglos.
Die hiergegen gerichtete Verfassungsbeschwerde wurde nicht zur Entscheidung angenommen. In den Gründen des Beschlusses der 3. Kammer des Ersten Senats weist das BVerfG auf die Erfordernisse der Begründung einer Verfassungsbeschwerde hin. Der Beschwerdeführer muss sich mit dem zugrundeliegenden einfachen Recht und den verfassungsrechtlichen Erwägungen sowie insbesondere mit den bereits durch das BVerfG entwickelten Bewertungsgrundsätzen eingehend auseinandersetzen. Auch die Argumentation der angegriffenen gerichtlichen Entscheidung – hier im genannten Urteil des BSG – muss ins Einzelne gehend in einer Verfassungsbeschwerde aufgegriffen und sich mit ihr substantiiert auseinandergesetzt werden.
Hieran mangelte es jedoch der hier besprochenen Verfassungsbeschwerde. Die verfassungsrechtliche Zulässigkeit von Stichtags- und Übergangsregelungen, insbesondere auch im Bereich der gesetzlichen RV, ist in der Rechtsprechung des BVerfG bereits häufig behandelt worden (vgl. nur BVerfGE 87, 1 zu Kindererziehungszeiten; BVerfGE 122, 151 zur Höhe von vorzeitigen Altersrenten). Danach ist es dem Gesetzgeber nicht verwehrt, zur Regelung von Lebenssachverhalten Stichtage einzuführen, auch wenn damit unvermeidlich Härten einhergehen. Die Einführung neuer Regelungen, die einige Personengruppen begünstigen und andere aufgrund des Stichtags von dieser Begünstigung ausnehmen, unterfällt ebenso dieser verfassungsrechtlichen Bewertung (BVerfGE 122, 151, 178 f.). Für die verfassungsrechtliche Prüfung ist entscheidend, ob der Gesetzgeber den ihm zustehenden Spielraum sachgerecht ausgefüllt hat. Die Faktoren für die zeitliche Anknüpfung der Stichtagsregelung müssen durch den Gesetzgeber in hinreichendem Maß gewürdigt werden, und die Gesamtregelung muss mit Blick auf den geregelten Sachverhalt sachlich vertretbar und nicht willkürlich sein.
Diese verfassungsrechtlichen Maßstäbe wurden in der vom BVerfG hervorgehobenen „sorgfältigen Begründung“ des Urteils des BSG argumentativ ausgefüllt. Im Einzelnen ging das BSG auf die folgenden Aspekte ein:
Selbst wenn eine Verbesserung der Situation der erwerbsgeminderten Rentenbeziehenden aus sozialpolitischen Erwägungen ebenso für den Rentenbestand nahegelegen hätte, so konnte das laut BSG kein Argument in der verfassungsrechtlichen Prüfung sein. Denn diese erstreckt sich nicht darauf, ob der Gesetzgeber eine geeignetere oder gerechtere Lösung hätte finden können (vgl. BVerfGE 81, 156, 206), sondern ist auf die Einhaltung der verfassungsrechtlich aufgestellten Grenzen der gesetzgeberischen Gestaltungsfreiheit beschränkt.
Hinsichtlich dieses Gestaltungsspielraums wies das BSG darauf hin, dass der Gesetzgeber in der gewährenden Staatstätigkeit grundsätzlich über einen weiten Spielraum verfügt. Dieser greift in besonderem Maße in der Materie der gesetzlichen RV, sofern Rentenleistungen nicht auf eigenen Beiträgen beruhen, wie es aufgrund einer Zurechnungszeit der Fall ist (s. auch BVerfGE 126, 369, 398).
Das BSG konstatierte, dass der Gesetzgeber den ihm zur Verfügung stehenden weiten Gestaltungspielraum bei der Schaffung des § 253a SGB VI nicht in „evident sachwidriger“ Weise genutzt hat. Im Jahr des Gesetzgebungsverfahrens zum RV-Leistungsverbesserungs- und -Stabilisierungsgesetzes hat der Gesetzgeber verschiedene rentenpolitische Maßnahmen zur Stabilisierung und auch Leistungsausweitung in der RV getroffen. Die entsprechende Priorisierung der Vorhaben hat der Gesetzgeber sachgerecht unter Berücksichtigung der bestehenden Finanzlage vorgenommen. Das BSG verwies dabei noch einmal darauf, dass ihm eine Entscheidung darüber, ob der Gesetzgeber die vernünftigste oder gerechteste Lösung verfolgt hat, nicht zustand. Im Gesetzgebungsverfahren hat der Gesetzgeber jedenfalls die Umstände einer Begünstigung oder Nichtbegünstigung der Rentenbeziehenden im Bestand unter den verschiedenen Gesichtspunkten betrachtet und abgewogen.
Im Fokus standen dabei Fragen der Finanzierung der Leistungsverbesserungen und der Anknüpfung an Strukturprinzipien der gesetzlichen RV, so an das Rentenbeginnprinzip gem. § 300 Abs. 3 i.V.m. § 306 Abs. 1 SGB VI. Danach werden Änderungen des Rechts – leistungsverbessernde, aber auch leistungsverschlechternde – grundsätzlich nicht auf den Rentenbestand angewandt. Dieses Prinzip ist den langfristigen zeitlichen Dimensionen geschuldet, die die gesetzliche RV sowohl hinsichtlich des Aufbaus des Anspruchs während des Erwerbslebens als auch hinsichtlich des jahrelangen Leistungsbezugs prägen. So gelingt im Zeitverlauf ein Ausgleich von Chancen und Risiken der Rechtsveränderungen; zugleich wird dem verfassungsrechtlich gebotenen Vertrauensschutz bei Bestandsrenten Rechnung getragen. Auch an eine weitere Gegebenheit des geltenden Rentenversicherungsrechts, nämlich an die gerade für die Generation der Neurentner ab dem Jahr 2019 durch die Erhöhung der Regelaltersgrenzen weiter fortgeschriebene Lebensarbeitszeit, wurde im Gesetzgebungsverfahren angeknüpft. Diese Gründe, die das BSG in seinen Entscheidungsgründen selbst noch einmal vertiefte, konnten nach Ansicht des BSG nicht als sachwidrig oder gar willkürlich bezeichnet werden. Die gefundene gesetzliche Regelung fügt sich in das Gesamtsystem der gesetzlichen RV ein.
Schließlich ging das BSG noch auf den Verwaltungsaufwand ein, der den RV-Trägern mit der Einbeziehung des Rentenbestandes in die Begünstigung entstanden wäre. Auch dieses Argument hätte der Beschwerdeführer in seiner Verfassungsbeschwerde betrachten müssen, obwohl es im Gesetzgebungsverfahren selbst nicht behandelt oder dokumentiert worden ist (s. schon BVerfGE 132, 72, 95).
Letztlich ist der Beschwerdeführer den Erwägungen im angegriffenen Urteil des BSG nicht substantiiert entgegengetreten. Es wäre erforderlich gewesen, dass er sich argumentativ im Einzelnen mit den Ausführungen des Revisionsgerichts auseinandersetzt und so zumindest die Möglichkeit darlegt, dass die Entscheidung des Gesetzgebers nicht nach sachgerechten Kriterien, sondern willkürlich getroffen worden sei.
Die RV-Träger hatten bereits 2020 in ihrem zuständigen Fachgremium (AGVR 4/2020) beschlossen, etwaige Anträge auf Berücksichtigung längerer Zurechnungszeiten bei Bestandsrenten zurückzustellen, um die Bescheide auf rechtssicherer Grundlage zu erteilen.
Am 1.7.2022 ist das Rentenanpassungs- und Erwerbsminderungsrenten-Bestandsverbesserungsgesetz (Gesetz vom 28.6.2022, BGBl. I S. 975) in Kraft getreten. Es sieht ab dem 1.7.2024 einen Zuschlag an persönlichen Entgeltpunkten u.a. für alle Renten wegen Erwerbsminderung vor, die nach dem 31.12.2000 und vor dem 1.1. 2019 begonnen haben und begünstigt somit die Gruppe der Rentenbeziehenden, die von den Verbesserungen des § 253a SGB VI ausgeschlossen waren.
Aufgrund der sehr komplexen und aufwendigen technischen Umsetzung wird die Berechnung und Auszahlung des Zuschlags ab dem 1.7.2024 in zwei Stufen erfolgen. Die Grundlagen hierfür sind mit dem EM-Bestandsrentenverbesserungsauszahlungsgesetz geschaffen worden. Danach wird der Renten Service der Deutschen Post AG im Auftrag der Deutschen Rentenversicherung ab Juli 2024 einen Zuschlag zu rund drei Millionen Renten berechnen und gesondert zur Monatsmitte auszahlen. Damit werden die vom Gesetzgeber beschlossenen Verbesserungen bei den Erwerbsminderungsrenten in der ersten Stufe durch einen vereinfachten pauschalen Zuschlag gem. § 307j SGB VI, bemessen anhand des Zahlbetrags der Rente, umgesetzt. Der Zuschlag soll an der Rentenanpassung zum 1.7.2025 teilnehmen, davon abgesehen jedoch unveränderlich sein.
Ab Dezember 2025 wird in der zweiten Stufe der Zuschlag an persönlichen Entgeltpunkten nach § 307i SGB VI durch die RV-Träger berechnet und in Summe mit der laufenden Rente ausgezahlt werden. Eine rückwirkende Verrechnung mit dem bereits ausgezahlten vereinfachten Zuschlag der ersten Stufe ist nicht vorgesehen; jedoch werden nach einer Vergleichsberechnung die ggf. entstandenen Unterschiedsbeträge durch die Deutsche Rentenversicherung nachgezahlt. Das Gesetz ist am 4.6.2024 verkündet worden (BGBl. I 2024 Nr. 173).
2. Bewertung von im Beitrittsgebiet zurückgelegten Zeiten des Wehrdienstes verstößt nicht gegen den Gleichheitsgrundsatz
Eine weitere Verfassungsbeschwerde in einer Materie der gesetzlichen RV hat die 3. Kammer des Ersten Senats des BVerfG ebenfalls mangels Substantiierung einer Grundrechtsverletzung zurückgewiesen (Beschluss vom 30.11.2023, Az.: 1 BvR 1509/23). Der Beschwerdeführer focht die Zurückweisung seiner Nichtzulassungsbeschwerde durch das BSG (Beschluss vom 15.6.2023, Az.: B 5 R 217/22 B) mit der Verfassungsbeschwerde an und wandte sich mittelbar gegen die Regelung des § 256a Abs. 4 SGB VI, die bei der Berechnung seiner Altersrente zur Anwendung gekommen war.
Der Berechnung der Altersrente wurde nach dieser Vorschrift für die Zeiten des Wehrdienstes in der Nationalen Volksarmee der DDR von November 1973 bis April 1975 ein Wert von 0,75 Entgeltpunkten für das volle Kalenderjahr zugrunde gelegt, während für Zeiten des Wehrdienstes bei der Bundeswehr im selben Zeitraum 1,0 Entgeltpunkte zu berücksichtigen wären. Hierin sah der Beschwerdeführer eine verfassungswidrige Ungleichbehandlung.
Dennoch gelang es ihm nicht, diese substantiiert und in Auseinandersetzung mit den Argumenten der vorhergehenden Entscheidungen des Instanzenzuges sowie den bekannten verfassungsrechtlichen Maßstäben aus der Rechtsprechung des BVerfG zu dieser Frage darzulegen.
Der Beschwerdeführer konnte einen Verstoß der Norm gegen das spezielle Diskriminierungsverbot nach dem Merkmal der Heimat gemäß Art. 3 Abs. 3 Satz 1 Grundgesetz (GG) nicht hinreichend begründen (Verweis auf BVerfGE 116, 96, 130, wonach eine rentenrechtlich differenzierte Behandlung im Fremdrentenrecht allein daran bemessen wird, dass die betroffenen Versicherten ihre Erwerbsbiographie nicht in der Bundesrepublik zurückgelegt haben; das Merkmal der Heimat oder Herkunft ist dagegen kein relevanter Anknüpfungspunkt.)
Auch ein Verstoß gegen den allgemeinen Gleichbehandlungsgrundsatz des Art. 3 Abs. 1 GG konnte das BVerfG nach dem Vorbringen des Beschwerdeführers nicht feststellen. Nach der gefestigten Rechtsprechung des BVerfG liegt ein solcher Verstoß vor, wenn der Gesetzgeber eine Gruppe von Normunterworfenen anders behandelt als eine andere Gruppe, obwohl zwischen diesen beiden keine Unterschiede vorliegen, die nach Art und Gewicht die Ungleichbehandlung rechtfertigen könnten (BVerfGE 100, 1, 38; BVerfGE 112, 368, 401). Die hier behandelte Materie betrifft eine Frage der Überleitung von Ansprüchen und Anwartschaften, die im Beitrittsgebiet erworben wurden, in die einheitliche gesetzliche RV. Für die darauf gerichteten gesetzlichen Maßnahmen hat das BVerfG in vorhergehenden Entscheidungen einen besonders weiten Gestaltungsspielraum des Gesetzgebers angenommen (vgl. BVerfGE 100, 1, 38; BVerfGE 112, 368, 401 f.; BVerfGE 131, 66, 82 f.).
Nach diesem besonderen Maßstab des Gleichheitsgrundsatzes muss die Überleitung der Rechtsmaterie einem sachgerechten Konzept folgen und die überprüfte Regelung sich in dieses Konzept einfügen.
Der Gesetzgeber verfolgte mit der Vereinheitlichung der Rentenversicherungssysteme das Ziel, eine beitragsfinanzierte RV mit dynamischen Leistungen zu schaffen. Letztlich ist die tatsächliche Beitragszahlung, die in § 256 Abs. 3 SGB VI für die höhere Bewertung der Wehrdienstzeiten in den alten Bundesländern im entsprechenden Zeitrahmen vorausgesetzt wird, als hier entscheidendes und zulässiges Differenzierungskriterium anzusehen. Diese Beitragszahlung für Wehrdienstleistende in der Bundeswehr lässt sich auch den einzelnen Versicherten zuordnen (s. zur versicherungstechnischen Abwicklung den Beschluss des BSG vom 30.11.2022, Rz. 19).
Die Überschrift des § 256a SGB VI – „Beitragszeiten im Beitrittsgebiet“ – dagegen bedeutet nicht, dass von den staatlichen Stellen der DDR tatsächlich Beiträge zur Sozialversicherung für die Wehrdienstleistenden gezahlt worden wären. Diese Zeiten wurden als „Dienstzeiten bei den bewaffneten Organen“ einer versicherungspflichtigen Tätigkeit gleichgestellt und sind daher vielmehr als tatsächlich „beitragslos“ zu betrachten, so das BSG in seinem Beschluss. Eine unterschiedlich hohe Bewertung von Zeiten mit Entgeltpunkten, die einer unterschiedlichen Beitragsleistung Rechnung trägt, ist nicht als willkürlich anzusehen, konstatierte das BSG weiter. Im Hinblick darauf, dass die Bewertung der Zeiten des Wehrdienstes im Beitrittsgebiet die zum Zeitpunkt der Rentenüberleitung, dem 1.1.1992, geltende Bewertung dieser Zeiten bei der Bundeswehr mit 0,75 Entgeltpunkten übernahm, konnte eine unzulässige Ungleichbehandlung nicht festgestellt werden.
Dem Gesetzgeber der Herstellung der Rentenversicherungseinheit war es zudem nach verfassungsrechtlichen Maßgaben nicht aufgegeben, die Rentenansprüche und Anwartschaften aus den neuen Bundesländern so zu stellen, als hätten die Versicherten ihre Versicherungsbiographie in den alten Bundesländern absolviert (vgl. BVerfGE 100, 1, 40).
Da das BVerfG keinen Anhalt für eine Grundrechtswidrigkeit der Rentenüberleitung in dieser Frage erkennen konnte, fehlte es der Verfassungsbeschwerde bereits an der Zulässigkeit.