RVaktuell - Fachzeitschrift und amtliche Mitteilungen
RVaktuell - Fachzeitschrift und amtliche Mitteilungen der Deutschen Rentenversicherung
Rechtsprechung Veranstaltungen

Rechtliche und faktische Herausforderungen an die Wahrnehmung gerichtlicher Termine – Impulse aus der Fachtagung „Prozessvertretung“

RVaktuell 3/2022
Vom 9. bis 10.3.2022 fand die Veranstaltung „Prozessvertretung“ der Deutschen Rentenversicherung statt. Diese Veranstaltung wurde aufgrund der Pandemie online durchgeführt. Die Vortragenden berichteten zu Themen rund um das Gerichts- sowie das Verwaltungsverfahren. Gegenstand der Vorträge waren auch aktuelle rentenpolitische Themen und ihre Bedeutung für Klagen.

Auftakt

Dr. Jürgen Brand, Rechtsanwalt, Präsident a.D. des Landessozialgerichts (LSG) Nordrhein-Westfalen, Essen, und Richter a.D. des Verfassungsgerichtshofs für das Land Nordrhein-Westfalen in Münster, hielt einen Vortrag zu „Ausgewählten verfahrensrechtlichen Aspekten nach SGG und SGB X“. Brand stellte die Bedeutung des Untersuchungsgrundsatzes im Verwaltungsverfahren dar. § 20 Erstes Buch Sozialgesetzbuch (SGB I) stehe im Zusammenhang mit vielen Vorschriften und habe daher Bedeutung für zahlreiche andere Rechtsnormen. Daher sei die Auslegung dieser Vorschrift durch die Rechtsprechung von erheblicher Bedeutung. Dementsprechend lenkte Brand die Aufmerksamkeit der Zuhörer auf die einschlägige Judikatur. Der Untersuchungsgrundsatz ende, wenn die Mitwirkungspflichten der Beteiligten beginnen. Diese endeten auch dort, wo weitere Bemühungen der Behörde im Verhältnis zum Erfolg nicht mehr vertretbar seien. Dieser Grundsatz werde auch auf die Grundsätze der Beweisführung angewandt, die der Verwaltung oblägen.

Ausnahmsweise sei es auch zulässig sog. Ausforschungsermittlungen durchzuführen. Das sei der Fall, wenn eine statistische oder aus der Natur der Sache folgende Wahrscheinlichkeit vorliege, wonach die Ermittlungen zu entscheidungserheblichen Ergebnissen führen. Voraussetzung hierfür sei jedoch, dass allgemeine Erfahrungstatsachen genügend Anhaltspunkte dafür liefern, dass sich im speziellen Fall brauchbare Erkenntnisse für den jeweiligen Fall ergeben.

Einen weiteren Vortrag zu „Aktuellem aus der Rentenpolitik“ hielt Dr. Natalie Brall, Leiterin der Unterabteilung Rentenversicherung und zusätzliche Altersversorgung im Bundesministerium für Arbeit und Soziales. Sie wies die Zuhörer auf die Regelungen des Koalitionsvertrages zu bestimmten Themen hin, darunter Nachholfaktor, Haltelinie 48 %, Kapitalstock, Erwerbsminderungsrente, Altersvorsorgepflicht für Selbständige, Hinzuverdienst, Härtefallfonds, weitere rentenrechtliche Themen des Koalitionsvertrags (u.a. Rentensplitting, Dialogprozess Renteneintritt, Dialog zur Rentenversicherungspflicht für Strafgefangene) sowie die Digitale Rentenübersicht.

So sehe der Koalitionsvertrag Einstiege in die teilweise Kapitaldeckung der gesetzlichen Rentenversicherung (RV) vor, um das Rentenniveau und den Beitragssatz langfristig zu stabilisieren. Dazu wird der Deutschen Rentenversicherung noch in diesem Jahr aus dem Haushalt ein Kapitalstock i.H.v. zehn Milliarden Euro zugeführt. Die Altersvorsorgepflicht für Selbständige wird mit einer Opt-Out-Möglichkeit ausgestaltet, die insolvenz- und pfändungssicher sein muss.

Der Koalitionsvertrag sehe weitere Neuigkeiten vor, wie den Dialogprozess Renteneintritt oder den Dialog zur Rentenversicherungspflicht von Strafgefangenen in der gesetzlichen RV. Man habe vor, Rentensplitting bekannter zu machen und die Nutzung auch durch unverheiratete Paare zu ermöglichen. Die Wirkung der Grundrente im Laufe der Wahlperiode werde nicht nur evaluiert. Es würden vielmehr auch Verbesserungsvorschläge, insbesondere auch zum Prüfungsaufwand bei Kapitalerträgen geprüft. Die Koalitionsvertragsparteien wollten auch die Digitalisierung vorantreiben.

Danach folgte der Vortrag von Antje Hausadel, Deutsche Rentenversicherung Bund, zum „Neuen Statusfeststellungsverfahren“. Die in diesem Rahmen besprochenen Änderungen traten zum 1.4.2022 in Kraft.

Sie betonte, die Gründe für die Reform seien vielfältig. So seien die Verfahren zu langwierig; die Beteiligten hätten keine schnelle Rechtssicherheit über ihren Status. Auch die gesetzlichen Abgrenzungskriterien seien an veralteten Arbeitsformen ausgerichtet und nicht geeignet, den neuen Arbeitsformen (Home-office, Digitalisierung) gerecht zu werden.

Die Reform sehe daher ein Optionales Statusfeststellungsverfahren sowie ein Obligatorisches Statusfeststellungsverfahren vor.

Hausadel stellte dann die von der Rechtsprechung für eine Beschäftigung entworfenen Grundsätze dar, wie persönliche Abhängigkeit des Arbeitnehmers vom Arbeitgeber, Weisungsabhängigkeit hinsichtlich Zeit, Dauer, Ort und Art der Ausführung, die „funktionsgerecht dienende Teilhabe am Arbeitsprozess“ bei hochqualifizierten Tätigkeiten sowie die Eingliederung in einen fremden Betrieb.

Zu den Vorgaben, die für eine selbständige Tätigkeit sprächen, gehörten Unternehmerrisiko, Verfügungsmöglichkeit über die eigene Arbeitskraft, eine frei gestaltete Tätigkeit und Arbeitszeit sowie die eigene Betriebsstätte.

Dank einer Prognoseentscheidung könne der Erwerbsstatus auch vor Aufnahme der Tätigkeit festgestellt werden. Grundlage hierfür seien schriftliche Vereinbarungen und die beabsichtigten Umstände der Vertragsdurchführung.

Den letzten Vortrag am ersten Tag der Fachtagung hielt Dr. Christian Zieglmeier, Präsident des Sozialgerichts (SG) Landshut, zum Thema „Rechtsschutz und Drittbeteiligung im Rahmen des reformierten Statusfeststellungsverfahrens 2022“. Eine unterlassene Statusfeststellung hätte eine rechtswegübergreifende Bedeutung, die daher analysiert werden müsse. Anfangs stellte er die in Frage kommenden Vorschriften dar. Das Unterlassen einer gebotenen Statusfeststellung hätte daher Gewicht im Arbeitsrecht, Sozialrecht, Steuerrecht, Strafrecht, bei der Schwarzarbeitsbekämpfung sowie für Ordnungswidrigkeiten. So liege das Risiko im Arbeitsrecht sowohl auf der Arbeitgeber-, wie auch auf Arbeitnehmerseite. Das Unterlassen habe auch Relevanz im Sozialrecht für die Beiträge, die abzuführen seien. Die Konsequenzen des Risikos der unterlassenen Statusfeststellung sah er auch im Steuerrecht.

Eine rechtswegübergreifende Statusklärung hätte weiterhin Bedeutung im Arbeitsrecht, Steuerrecht sowie in der Sozialversicherung. Eine Statusfeststellung hätte dagegen keine rechtswegübergreifende Bindungswirkung (BSG 23.5.2017 –B 12 KR 9/16 R).

Zweiter Veranstaltungstag

Den zweiten Tag der Fachtagung eröffnete Nico Höxbroe, Deutsche Rentenversicherung Bund, mit einem Vortrag zu „Altersvorsorge für Selbständige“, dessen Schwerpunkt er auf den im Koalitionsvertrag vom 7.12.2021 vorzufindenden neuen Ansatz legte.

So seien ein erhöhtes statistisches Risiko der Altersarmut Selbständiger, der Schutzbedarf von Selbständigen wie auch der Allgemeinheit Gründe für eine Altersvorsorgepflicht. Für die Finanzierung der gesetzlichen RV wiederum wäre die Einbeziehung langfristig finanzneutral.

Laut den neuen Vorschlägen seien Selbständige zur Meldung an die Rentenversicherungsträger verpflichtet. Eine lückenlose Erfassung der versicherungspflichtigen Selbständigen sei jedoch nicht gewährleistet. Für nicht versicherungspflichtige Selbständige seien Möglichkeiten einer freiwilligen Versicherung oder einer Versicherung auf Antrag gegeben.

Altersvorsorgepflicht für neue Selbständige bestehe auch ohne obligatorische Alterssicherung. Sie hätten auch eine Wahlfreiheit zwischen der gesetzlichen RV und (als Opt-Out) privaten Vorsorgeprodukten. Es müsste aber eine Armutsfestigkeit (Absicherung oberhalb des Grundsicherungsniveau) gewährleistet sein. Bei jeder Gründung bestehe eine Karenzzeit von zwei Jahren.

Der Vortrag von Stephan Rittweger, Vorsitzenden Richter am Bayerischen LSG, München, zum Thema „Der EU-rechtliche Phantomlohn – Beitragsrechtliche Konsequenzen der aktuellen EuGH-Rechtsprechung zu Arbeitszeit, Entgeltzuschlägen und fiktiver Selbständigkeit“ bot weitere wertvolle Hinweise auf die Selbständige betreffende Rechtslage.

Dabei sei unter einem Phantomlohn der Beitrag aus geschuldetem Lohn zu verstehen. Rittweger wies auf die nationale sowie die europäische Rechtsprechung hin und kam zu dem Schluss, dass die Luxemburger Richter den zentralen Punkt eines Arbeitsverhältnisses kennen würden. Betreffend einer Entgeltzahlungspflicht und der Entgelthöhe hätte die Europäische Union jedoch keine Kompetenz. Insoweit sei aber auf Art. 153 Abs. 5 Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV) hinzuweisen und hier auf die ständige Rechtsprechung des Gerichtshofs. Danach entfalte Art. 157 AEUV unmittelbare Wirkung, indem er für Einzelne Rechte begründet, die die nationalen Gerichte zu gewährleisten hätten. Da der Arbeitnehmer als die schwächere Partei des Arbeitsvertrags anzusehen sei, müsse verhindert werden, dass der Arbeitgeber ihm eine Beschränkung seiner Rechte auferlegen kann. Eventuelle Diskriminierungen der Beschäftigten (Überstundenzuschlag) könnten auch beitragsrechtliche Konsequenzen haben.

Eine wunderbare Brücke zwischen den zuvor besprochenen Themen baute Martin Löns, Präsident des nordrhein-westfälischen LSG, Essen, mit seinem Vortrag zur „Notwendigen Gesetzesinitiative im sozialgerichtlichen Verfahren? – Impulsen aus richterlicher Perspektive“. Er sprach von den Schwierigkeiten, die bei der Auslegung von Rechtsvorschriften aufträten. So würden die Gerichte oft angerufen, wenn komplexe Fragen zur Klärung auftreten. Dabei handele es sich um Gesuche jeder Art. Oft müssten kulturelle oder geschichtliche Gegebenheiten durch Gutachten oder Studien ermittelt und untersucht werden. Erst im Anschluss könne dann ein Richter tätig werden und ein Urteil fällen. Löns sprach auch gesetzgeberische Initiativen an, Vielklägern entgegenzukommen. Dies würde insbesondere die Sozialrichter entlasten. Schieds- oder Schlichtungsverfahren, als eine Möglichkeit, einen Rechtsstreit vor Anrufung eines Gerichts einvernehmlich zu beenden, würde – in vielen Fällen – einen gangbaren und effizienten Weg darstellen. Das würde zum einen helfen Kosten zu sparen und zum anderen würde es die Spruchkörper entlasten.

Die Tagungsleiterin, Dr. Magdalena Skowron, dankte allen Vortragenden sowohl für die Wahl der Themen als auch für die hohe Qualität ihrer Abhandlungen. Den Teilnehmenden dankte sie außerdem für die Aufmerksamkeit und für die Beteiligung an fruchtbaren Diskussionen. Sie zähle auf ein Wiedersehen 2023, nicht nur in alter Frische, sondern auch mit neuem Engagement!

RVaktuell 3/2022
Die Geschichte des CUP-D-Verfahrens, der bisherige Stand sowie die weiteren Perspektiven wurden bereits in RVaktuell 2011 (vgl. Fn. 1) ausführlich dargestellt. Insbesondere wurde darauf hingewiesen, dass aufgrund der technischen Neuerungen sowie gesetzlicher Veränderungen eine Überarbeitung der Vereinbarung vom 23.4.1998 erforderlich sei. Daran anknüpfend wird ein aktueller Überblick über die Entwicklung der Krankenkassenlandschaft, die Anpassung der CUP-Vereinbarung durch die Vereinbarung vom 20.11.2019 und die technische Weiterentwicklung von CUP-D gegeben.

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