RVaktuell - Fachzeitschrift und amtliche Mitteilungen
RVaktuell - Fachzeitschrift und amtliche Mitteilungen der Deutschen Rentenversicherung

Rentenreform 2023 in Frankreich

RVaktuell 3/2023
Mitte April 2023 trat in Frankreich eine umstrittene Rentenreform in Kraft. Die wesentlichen Änderungen sind ab 1.9.2023 anzuwenden. Zum besseren Verständnis wird vorab skizziert, wie die Rentenversicherung (RV) in die französischen Sozialsysteme einzuordnen ist.
Manfred Husmann war bis zum Jahr 2008 Richter am Bundessozialgericht.

1. Einleitung

Das französische Recht der sozialen Sicherheit unterscheidet zwischen „gesetzlichen Basissystemen“ («les régimes légaux de base») und Zusatzversicherungssystemen («les régimes complémentaires»). Die Basissysteme untergliedern sich in drei, die Zusatzversicherungssysteme in zwei Systeme. Dazu Abb. 1:

Abb. 1: Systeme der sozialen Sicherheit in Frankreich

Die Regelungen zum allgemeinen System («le régime général») finden sich im «Code de la sécurité sociale» (CSS). Bei Sondersystemen («régimes spéciaux») handelt es sich ebenfalls um gesetzliche Systeme, die partiellen oder kompletten Schutz gegen soziale Risiken gewähren. Sie müssen zumindest gleichwertige Leistungen wie das «régime général» bieten, sehen oft sogar günstigere Regelungen vor. Art. R 711-1 CSS nennt zehn Sondersysteme, aber es gibt wohl insgesamt 27 Systeme 1 1 S. hierzu die Auflistung im Bericht der Senatorin Sylvie Vermeillet vom 28.2.2023, S. 80 (Avis n° 373 de Mme Sylvie Vermeillet, fait au nom de la commission des finances, déposé le 28 février 2023, https://www.snat.fr/rap/a22-373/a22-3731.pdf. . Auch autonome Systeme sind gesetzliche Systeme. Im Regelfall sind sie für alle Versicherungszweige eigenständig und vollständig organisiert 2 2 Kaufmann: „Soziale Sicherheit in Frankreich. Sondersysteme und autonome Systeme“, Teil II, Soziale Sicherheit 1998, 299, 302 ff. . Das bekannteste autonome System besteht in der Landwirtschaft. Neben freiwilligen Zusatzversicherungen (z.B. in der Krankenversicherung) ist der Abschluss einer Zusatzversicherung in der Altersversicherung seit 1973 zwingend 3 3 Loi n°72-1223 du 29 décembre 1972 portant généralisation de la retraite complémentaire au profit des salariés et anciens salariés, JORF du 30 décembre 1972, page (p.) 13781. .

Insgesamt 42 Basis- und Zusatzversicherungssysteme enthielten ein Altersversicherungssystem 4 4 Ministère du travail, du plein emploi et de l insertion: Le système de retraite actuel . Von den 27 Sondersystemen sahen bislang 15 Systeme eine Altersversicherung vor 5 5 Borgetto, Lafore: «Droit de la sécurité sociale», 19. Aufl., Verlag Dalloz, Paris 2019, S. 961, Rdnr. 1217. .

 

 

 

 

 

2. Erster Entwurf

Eine umfassende Rentenreform war ein zentrales Versprechen, das Präsident Emmanuel Macron im Wahlkampf 2017 gegeben hatte. Durch die Reform sollten Ungerechtigkeiten abgebaut und Defizite in den Rentenkassen verringert werden.

Im Juli 2019 hatte der Hochkommissar für die Rentenreform seine Empfehlungen für die Einführung eines „universellen Rentensystems“ vorgestellt 6 6 Delevoye, Haut-Commissaire à la réforme des retraites : «Pour un système universel de retraite», juillet 2019, https://travail-emploi.gouv.fr/IMG/pdf/retraite_01-09_leger.pdf. . Am 24.1.2020 hatte die Regierung ihren Gesetzesentwurf der Nationalversammlung vorgelegt 7 7 Projet de loi instituant un système universel de retraite, enregistré à la Présidence de l’Assemblée nationale 24 janvier 2020, www.assemblee-nationale.fr/dyn/15/textes/l15b2623_projet-loi#f (im Folgenden „Entwurf 2020“). Er umfasste 65 Artikel. Seine letzte Fassung 8 8 www.legifrance.gouv.fr/dossierlegislatif/JORFDOLE000041477060/?detailType=EXPOSE_MOTIFS&detailId=. enthielt folgende Schwerpunkte:

  • Alle in Frankreich arbeitenden Personen werden in einem System versichert, egal, ob sie im privaten oder öffentlichen Sektor tätig sind. Einbezogen werden alle Arbeitnehmer, Beamte, Richter, Berufssoldaten, Selbständige, Freiberufler und die in der Landwirtschaft Tätigen. Die 42 existierenden Altersversicherungssysteme werden aufgehoben (Art. 2 ff. Entwurf 2020). Welche Sondersysteme aufgehoben werden sollen, benennt Art. 7, a.a.O.).
  • Der Geldwert der Altersrente bestimmt sich nach Punktwerten (Art. 8 f. Entwurf 2020). Sie sind der Sache nach vergleichbar mit Entgeltpunkten in der deutschen RV. Mindestpunkte werden für bestimmte beitragsfreie Zeiten angerechnet (Art. 42, a.a.O.). Für Personen, die einen Angehörigen mit Behinderungen gepflegt haben, sind zusätzliche Punkte vorgesehen Art. 43, a.a.O.).
  • Allen Versicherten, die während eines längeren Versicherungsverlaufs nur relativ wenig verdient haben, wird eine Mindestrente garantiert. Sie beträgt 85% des Mindestlohns. Übergangsweise werden Nettorenten festgesetzt. Für 2022 ist ein Geldwert von 1 000 EUR vorgesehen (Art. 40 f. Entwurf 2020).
  • Für jedes Kind wird ein Zuschlag von 5 % zu den Punkten gewährt (Art. 44 Entwurf 2020).
  • Wird die berufliche Tätigkeit wegen der Erziehung eines Kindes unterbrochen, werden Punkte unter Zugrundelegung eines fiktiven Verdienstes in Höhevon 60 % des Mindestlohns gutgeschrieben (Art. 45 Entwurf 2020).
  • Das Regelzugangsalter, ab dem die Rente zum vollen Wert bezogen werden kann, sollte ursprünglich auf 64 Jahre festgesetzt werden. Unter dem Eindruck der massiven Proteste verzichtete die Regierung im Entwurf auf eine stufenweise Erhörung von 62 auf 64 Jahre. Allerdings ergeben sich aus einem Bonus-/Malus-System Nachteile. Bei einem Bezug vor dem 64. Lebensjahr erfolgt ein Abschlag, bei einem späteren Bezug ein Zuschlag (Art. 10 Entwurf 2020).). Eine vorzeitige Rente kann unter bestimmten Voraussetzungen weiter bezogen werden (Art. 23 und 28 ff., a.a.O.). Für bestimmte Beamtengruppen (Sicherheits-, Überwachungs- Kontrollbereiche) sowie für das Militär gelten Sonderregelungen (Art. 36 f., a.a.O.).
  • Als einheitlicher Träger wird eine «Caisse nationale de retraite universelle» geschaffen (Art. 50 Entwurf 2020).

Nach einem Bericht der Zeitschrift «Le Monde» waren Anfang Februar 2020 bereits 22 000 Änderungsanträge gestellt worden 9 9 «Près de 22 000 amendements et une obstruction assumée: la bataille sur la réforme des retraites à l’Assemblée», publié le 3 février 2020, www.lemonde.fr/politique/article/2020/02/03/l-assemblee-nationale-se-prepare-a-un-mois-de-guerilla-parlementaire-sur-la-reforme-des-retraites_6028186_823448.html. . Die Beratungen begannen sehr schleppend und es war mit langwierigen Beratungen zu rechnen. Das veranlasste die Regierung, von Art 49 Abs. 3 der französischen Verfassung vom 4.10.1958 («Constitution du 4 Octobre 1958», nachfolgend: C 1958) Gebrauch zu machen. Er ermöglicht ein beschleunigtes Gesetzgebungsverfahrens. Wegen der Corona-Epidemie wurden die weiteren Beratungen ausgesetzt. Nach der Präsidentenwahl 2022 erfolgte ein neuer Anlauf.

3. Reform 2023

Am 23.1.2023 legte die Regierung der Nationalversammlung einen neuen Gesetzesentwurf vor. Er war Teil des „Entwurfs des Berichtigungsgesetzes zur Finanzierung der sozialen Sicherheit 2023“ («Projet de loi de financement rectificative de la sécurité sociale pour 2023»). Er wird im Folgenden mit „Entwurf 2023“ abgekürzt.

Die französische Regierung musste davon ausgehen, für die Reform keine ausreichende parlamentarische Mehrheit zu finden, obwohl der Entwurf gegenüber dem früheren „abgespeckt“ worden war. Deshalb entschied sie sich, ihn als Teil des genannten Berichtigungsgesetzes einzubringen. Das eröffnete ihr die Möglichkeit, den Weg eines beschleunigten Verfahrens («procédure accélérée») zu beschreiten und die Reform ohne Votum des Parlaments durchzusetzen (Art. 42 Abs. 4, 45 und 49 Abs. 3 C 1958). 

Am 17.2.2023 hatte die Nationalversammlung die Prüfung ohne Votum abgeschlossen. Der Entwurf wurde an den Senat weitergeleitet, der ihn am 11.3.2023 (mit einigen Modifikationen) in erster Lesung billigte. Nach Zustimmung im gemischten Ausschuss stimmte der Senat der Vorlage am 16.3.2023 zu. Daraufhin verband die Premierministerin die Vorlage in der Nationalversammlung mit der Vertrauensfrage. So kann ein Entwurf ohne Abstimmung Gesetzeskraft erlangen, wenn die Regierung das Misstrauensvotum übersteht (Art. 49 Abs. 3 C 1958). Die Misstrauensanträge scheiterten, so dass das Gesetz am 20.3.2023 als beschlossen galt.

Nachdem Verfassungsbeschwerden eingereicht worden waren, musste noch die Entscheidung des französischen Verfassungsgerichts, des «Conseil constitutionnel» (CC), abgewartet werden. Der CC entschied am 14.4.2023 10 10 Décision n° 2023-849 DC du 14 avril 2023. , dass die Rentenreform in ihren wesentlichen Teilen verfassungskonform sei. Der französische Präsident hat das Gesetz noch am selben Tag unterzeichnet, so dass es als „Berichtigungsgesetz zur Finanzierung der sozialen Sicherheit 2023“ 11 11 Loi n° 2023-270 du 14 avril 2023 de financement rectificative de la sécurité sociale pour 2023, JORF n°0089 du 15 avril 2023, texte n° 1. am folgenden Tag im französischen Gesetzesblatt veröffentlicht werden konnte. Es wird im Folgenden mit „Reformgesetz 2023“ abgekürzt.

Der CC hat sechs Artikel im Reformgesetz 2023 beanstandet. Betroffen waren

  • «l’index sénior»: Art. 2 des Entwurfs 2023 sollte Unternehmen verpflichten, den Anteil älterer Beschäftigter offenzulegen; so sollte die Beschäftigungssituation älterer Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer transparenter gemacht werden.
  • «le contrat de travail sénior»: Art. 3 des Entwurfs 2023 sah vor, dass Langzeitarbeitslose über 60 Jahre bis zur Erreichung des Rentenalters eingestellt werden sollten.
  • «le recouvrement des cotisations sociales»: Art. 6 des Entwurfs 2023 sah einige Modifikationen in der Organisation des Beitragseinzugs vor.
  • «les conditions d’ouverture du droit au départ anticipé pour les fonctionnaires»: Einige Regelungen in Art. 10 des Entwurfs 2023 betrafen die Berücksichtigung bestimmter Tätigkeiten von Beamten für den vorgezogenen Rentenbezug.
  • «un suivi individuel spécifique»: Art. 17 sah eine spezielle individuelle Betreuung von Personen vor, die bestimmten beruflichen Risiken ausgesetzt waren.
  • «un dispositif d’information à destination des assurés»: Art. 27 installierte ein Informationssystem für Versicherte.

Gerügt wurde im Wesentlichen, dass die beanstandeten Regelungen nicht Gegenstand eines Haushaltsgesetzes zur Sozialversicherung hätten sein dürfen. Hierauf ist nicht näher einzugehen. Mit Blick auf die Hauptziele der Reform waren sie von untergeordneter Bedeutung. Bedeutsamer sind folgende Änderungen:

  • Erhöhung des Rentenzugangsalters,
  • Änderungen beim Bezug einer Rente zum vollen Geldwert,
  • Beibehaltung der maximalen Lohnersatzquote bei Vollendung des 67. Lebensjahres,
  • Erhöhung des Rentenzahlbetrages durch weiteren Kinderzuschlag,
  • Verbesserungen für Frauen,
  • modifizierte Vorschriften zur Einbeziehung in die Altersversicherung,
  • Erhöhung des Mindestrentenbetrages,
  • Änderungen beim möglichen Hinzuverdienst während des Rentenbezugs,
  • Änderungen bei vorgezogenen Renten,
  • Änderungen bei Teilrenten,
  • Einführung einer Waisenrente

Weiterer Kernpunkt des Reformgesetzes 2023 ist die Schließung der Altersversicherungssysteme in einigen Sondersystemen mit Wirkung zum 1.9.2023. Betroffen sind: «le régime des industries électriques et gazières», «le régime de la Régie autonome des transports parisiens», «le régime spécial de retraite des clercs et employés de notaires» und «le régime de la Banque de France et du Conseil économique, social et environnemental». Sie werden dem allgemeinen System angeschlossen. Das gilt aber nur für Beschäftigte, die ab 1.9.2023 eingestellt werden. Für alle anderen finden die Sondersysteme weiterhin Anwendung (Art. 1 Ziff. I, II, V und VI Nr. 4 des Reformgesetzes 2023).

Auch zahlreiche weitere Vorschriften des Reformgesetzes treten zum 1.9.223 in Kraft 12 12 Vgl. Art. 10 Ziff. XXX Buchst. B, Art. 11 Ziff. VII Buchst. B, 12 Ziff. III, 18 Ziff. VI, 21 Ziff. II, 22 Ziff. II, 23 Ziff. IV, 25 Ziff. III, 26 Ziff. XII, 28 und 29 Ziff. II und im Übrigen – sofern ein Datum nicht genannt wird – am Tag nach Veröffentlichung des Gesetzes. Viele Regelungen sind erst anwendbar, nachdem Konkretisierungen auf Verordnungsebene erfolgt sind 13 13 Die Verteilung der Gesetzgebungskompetenzen in der französischen Verfassung führt u.a. im Bereich der sozialen Sicherheit dazu, dass ein «code» grundsätzlich drei, ggf. auch vier Teile enthält. Der legislative Teil («Partie législative») umfasst die per Parlamentsgesetz beschlossenen gesetzlichen Vorgaben. Kennzeichnend ist die Einfügung eines „L“ vor der einzelnen Artikelnummer «article L …»). Die Konkretisierungen erfolgen durch Verordnungen, wobei zwischen zwei weiteren Teilen unterschieden wird. Die «Partie réglementaire - Décrets en Conseil d’Etat» enthält Regelungen, vor deren Erlass eine Stellungnahme des «Conseil d’État» eingeholt werden muss. Den einzelnen Artikelnummern wird ein „R“ vorangestellt. Die «Partie réglementaire - Décrets simples» enthält Verordnungen, die ohne vorherige Stellungnahme des Consil d’Etat ergehen. Den einzelnen Artikelnummern wird ein „D“ vorangestellt. Erfolgen Konkretisierungen durch ministerielle Anordnung («arrêtés»), finden sich die einschlägigen Regelungen in der «Partie réglementaire – Arrêtés». Der einzelnen Artikelnummer wird ein „A“ vorangestellt. . Das ist inzwischen geschehen. So präzisieren vier Dekrete vom 28.7.2023 die Regelungen zur Schließung der genannten Sondersysteme 14 14 Décret n° 2023-690 du 28 juillet 2023 relatif au régime spécial de retraite du personnel de la Régie autonome des transports parisiens, JORF n°0175 du 30 juillet 2023, texte n° 16; Décret n° 2023-692 du 28 juillet 2023 relatif au régime spécial de retraite des industries électriques et gazières, JORF n°0175 du 30 juillet 2023, texte n° 18, Décret n° 2023-689 du 28 juillet 2023 relatif au régime spécial de retraite des clercs et employés de notaires, JORF n°0175 du 30 juillet 2023, texte n° 15, Décret n° 2023-693 du 28 juillet 2023 relatif au régime spécial de retraite de la Banque de France, JORF n°0175 du 30 juillet 2023, texte n° 19. . Zwei Dekrete vom 3.6.2023 15 15 Décret n° 2023-435 du 3 juin 2023 portant application des articles 10, 11 et 17 de la loi n° 223-270 du 14 avril 2023 de financement rectificative de la sécurité sociale pour 2023, JORF n°0128 du 4 juin 2023, texte n° 15 und Décret n° 2023-436 du 3 juin 2023 portant application des articles 10 et 11 de la loi n° 2023-270 du 14 avril 2023 de financement rectificative de la sécurité sociale pour 2023, JORF n°0128 du 4 juin 2023, texte n° 16. und sechs Dekrete vom 10.8.2023 16 16 Décret n°2023-751 du 10 août 2023 relatif au cumul emploi retraite et à la retraite progressive, JORF n°0185 du 11 août 2023, texte n° 27; Décret n° 2023-752 du 10 août 2023 relatif à la revalorisation des minima de pension, à la pension d’orphelin, à l’allocation de solidarité aux personnes âgées et à l’assurance vieillesse des aidants, JORF n°0185 du 11 août 2023, texte n° 28; Décret n°2023-753 du 10 août 2023 portant application de l’article 26 de la loi n° 2023-270 du 14 avril 2023 de financement rectificative de la sécurité sociale pour 2023 relatif au cumul emploi retraite et à la retraite progressive, JORF n°0185 du 11 août 2023, texte n° 29; Décret n° 2023-754 du 10 août 2023 portant application des articles 18 et 25 de la loi du 14 avril 2023 de financement rectificative de la sécurité sociale pour 2023 relatifs à la revalorisation des minima de pension, à la pension d’orphelin, à l’allocation de solidarité aux personnes âgées et à l’assurance vieillesse des aidants, JORF n°0185 du 11 août 2023, texte n° 30; Décret n° 2023-759 du 10 août 2023 relatif au fonds d’investissement dans la prévention de l’usure professionnelle et au compte professionnel de prévention, JORF n°0185 du 11 août 2023, texte n° 38;Décret n° 2023-760 du 10 août 2023 portant application de l’article 17 de la loi n° 2023-270 du 14 avril 2023 de financement rectificative de la sécurité sociale pour 2023, JORF n°0185 du 11 août 2023, texte n° 39. ermöglichen die Anwendung der weiteren Änderungen.

4. Einige der wesentlichen Änderungen

Den Schwerpunkt der Rentenreform bilden Änderungen im Bereich der Regelaltersrente. Aber auch Änderungen bei den Teilrenten, vorgezogenen Altersrenten sowie die Einführung einer Waisenrente sind zu nennen.

4.1 Erhöhung des Zugangsalters

Eine der umstrittensten Änderungen ist die Erhöhung des Rentenzugangsalters von 62 auf 64 Jahre. Sie schließt (zumindest vorläufig) eine Rechtsentwicklung ab, die 2010 eingeleitet worden war.

Seit Einführung der Sozialversicherung in Frankreich durch das Sozialversicherungsgesetz vom 5.4.1928 i.d.F. des Gesetzes vom 30.4.1930 17 17 Loi du 30 avril 1930 modifiant et complétant la loi du 5 avril 1928 sur les assurances sociales, JO du 1er mai 1930, page 4819. konnten Versicherte die Regelaltersrente mit Vollendung des 60. Lebensjahres beziehen (Art. 13, a.a.O.). Das änderte sich mit dem Rentenreformgesetz vom 9.11.2010 18 18 Loi n° 2010-1330 du 9 novembre 2010 portant réforme des retraites, JORF n° 0261 du 10 novembre 2010, texte n° 1. . Sein Art. 18 erhöhte die Regelaltersgrenze auf das 62. Lebensjahr. In vollem Umfang traf die Erhöhung zunächst die Jahrgänge ab 1956. Für ältere Jahrgänge bestanden Übergangsregelungen. Das Finanzierungsgesetz 2012 19 19 Loi n° 2011-1906 du 21 décembre 2011 de financement de la sécurité sociale pour 2012 (Art. 88), JORF n° 0296 du 22 décembre 2011, texte n° 1. zog den Anpassungsprozess um ein Jahr vor. Nunmehr konnten die Jahrgänge ab 1955 die Altersrente erst mit 62 Jahren beanspruchen (wirksam ab 2017). Das Vorziehen erforderte zugleich eine Modifizierung der Übergangsregelungen.

Das Reformgesetz 2023 hat das Zugangsalter auf 64 Jahre angehoben. (Art. 161-17-2 CSS i.d.F des Art. 10 Ziff. I Nr. 2 Buchst a des Reformgesetzes 2023). Die Regelungen sind ab 1.09.2023 anzuwenden (Art. 10 Ziff. XXX Buchst. B). Zugleich wurden entsprechende Übergangsregelungen eingeführt (Art. 10 Ziff. I Nr. 2 Buchst b). Die Anhebungen erfolgen für Versicherte, die nach dem 1.8.1961 das 62. Lebensjahr vollendet hatten und erhöhen das Zugangsalter pro Jahr um drei Monate 20 20 Décret n° 2023-436 du 3 juin 2023 portant application des articles 10 et 11 de la loi n° 2023-270 du 14 avril 2023 de financement rectificative de la sécurité sociale pour 2023 (Art. 1), JORF n°0128 du 4 juin 2023, texte n° 16. (vgl. Tabelle 1).

GeburtsjahrgängeBis
31.8.1961
1.9. -
31.12.1961
1962196319641965196619671968 und
danach
Zugangsalter62 Jahre62 Jahre +
3 Monate
62 Jahre +
6 Monate
62 Jahre +
9 Monate
63 Jahre63 Jahre +
3 Monate
63 Jahre +
6 Monate
63 Jahre +
9 Monate

64 Jahre
Tabelle 1: Übergangsregelungen anlässlich des Zugangsalters auf 64 Jahre

 

Die volle Anhebung des Zugangsalters wird somit für die Jahrgänge ab 1968 wirksam.

4.2 Änderungen beim Bezug einer Rente zum vollen Geldwert

Der Geldwert des Rechts auf eine Altersrente (umgangssprachlich: „die Höhe der Rente“) bestimmt sich im französischen System nach einer Formel, die sich aus Art. L 351-1 Abs. 2 und 3 CSS herleiten lässt. Sie lautet:

P = SAM x t x d/D 21 21 S. hierzu auch Borgetto, Lafore, a.a.O., S. 638 (Rdnr. 781); Service public: «Montant de la retraite du salarié du secteur privé», vérifié le 20 juillet 2023, www.service-public.fr/particuliers/vosdroits/F21552.

Die Abkürzungen bedeuten:

„P“ = «montant de pension» (Rentenzahlbetrag, genauer: Geldwert des Rechts auf Altersrente),

„SAM“ = «salaire annuel moyen» (jährliches Durchschnittsentgelt),

„t“ = «taux» (Lohnersatzquote),

„d“ = «durée» i.S. der individuell zurückgelegten Versicherungszeit und

„D“ = «durée» i.S. einer gesetzlich fixierten Versicherungszeit.

Auf die einzelnen Elemente ist nicht weiter einzugehen. Die Änderung 2023 betrifft ausschließlich die gesetzlich fixierte Versicherungszeit.

Mit der Bezeichnung „Höchstrente“ bzw. „volle“ Altersrente («la retraite à taux plein») wird der im Höchstfall erzielbare Geldwert umschrieben. Er bestimmt sich nach einer maximalen Lohnersatzquote, die nur eingestellt wird, wenn eine gesetzlich fixierte Versicherungszeit zurückgelegt wurde. Die maximale Lohnersatzquote wird mit 50 % festgesetzt (Art. R 351-27 Ziff. I Nr. 1 Abs. 1 CSS). Das Gesetz bezeichnet die Quote seit 1983 als «taux plein». Die Definition findet sich in Art. L 351-1 Abs. 2 CSS 22 22 «Le montant de la pension résulte de l’application au salaire annuel de base d’un taux croissant, jusqu’à un maximum dit taux plein.» .

Die erforderliche Versicherungszeit hatte Art. L 161-17-3 CSS i.d.F. durch das Reformgesetz 2014 stufenweise für die Jahrgänge ab 1958 angehoben. Danach musste u.a. der Jahrgang 1965 mindestens 167 Trimester (41,75 Jahre) und der Jahrgang 1973 die neue Höchstdauer von 172 Trimestern (43 Jahren) nachweisen. Wird die Versicherungszeit nicht erreicht, kommt es zu Abschlägen, auf die hier nicht weiter einzugehen ist.

Auch wenn Versicherte eine längere Versicherungszeit zurückgelegt haben, wird die individuelle Versicherungszeit maximal nur bis zur gesetzlich fixierten Versicherungsdauer berücksichtigt (Art. R 351-6 Abs. 1 CSS). Der Quotient d/D ist somit höchstens gleich 1 und die „volle“ Jahresrente kann nicht mehr als 50 % des jährlichen Durchschnittsentgelts betragen.

Art. 10 Ziff. I Nr. 3 des Reformgesetzes 2023 hat für die Jahrgänge ab 1961 stufenweise Anhebungen der erforderlichen Versicherungszeit um jeweils drei Monate angeordnet (vgl. Tabelle 2).

Jahrgänge1.1. - 31.8.19611.9.1961 -31.12.1962196319641965
Anzahl der Trimester
umgerechnet in Jahre (J) und in Monate (M)
168
(42 J)
169
(42,25 J = 42 J + 3 M)
170
(42,5 J = 42 J + 6 M)
171
(42,75 J = 42 J + 9 M)
172
(43 J)
Tabelle 2: Anhebung der erforderlichen Versicherungszeit

 

Um die Höchstrente beanspruchen zu können, müssen ab 1.9.2023 bereits die Jahrgänge ab 1965 eine Versicherungszeit von 172 Trimestern bzw. von 43 Versicherungsjahren nachweisen (bisher 167 Trimester = 41,75 Jahre), also eine Versicherungszeit, die bislang für die Jahrgänge ab 1973 galt.

4.3 Beibehaltung der maximalen Lohnersatzquote bei Vollendung des 67. Lebensjahres

Auch wenn die gesetzlich vorgesehene Versicherungszeit nicht erreicht wird, garantiert Art. L 351-8 Abs. 1 Nr. 1 CSS i.d.F. bis 31.8.2023 den Versicherten die maximale Lohnersatzquote, wenn sie die Altersrente fünf Jahre nach Vollendung des gesetzlichen Zugangsalters (Art. L 161-17-2, a.a.O.) beantragen. Ausgehend von der bisherigen Altersgrenze von 62 Jahren griff die Garantie bei Vollendung des 67. Lebensjahres. An diesem Ergebnis hat die Rentenreform trotz Erhöhung des Zugangsalters auf 64 Jahre festgehalten. Art L 351-8 Nr. 1 CSS i.d.F. durch Art. 10 Ziff. I Nr. 5 des Reformgesetzes 2023 ordnet an, dass das Regelzugangsalter um drei Jahre erhöht wird. Somit können die Versicherten weiterhin ab Vollendung des 67. Lebensjahres die Rente mit der maximalen Lohnersatzquote beanspruchen.

Hiervon bleibt der dritte Faktor, der Quotient aus d/D, unberührt. Eine geringere individuelle Versicherungszeit schlägt sich im Quotienten nieder und führt demgemäß trotz des «taux plein» zu einer niedrigeren Rente.

4.4 Verbesserungen für Frauen

Unterbrechungen der beruflichen Karriere, insbesondere wegen Kindererziehung und Übernahme weiterer Familienlasten, sowie häufig eklatante Lohndifferenzen bewirken, dass Frauen wegen der kürzeren Versicherungszeiten und niedrigeren Verdienste unzureichender in der Altersversicherung abgesichert sind als Männer. Schon einige bisherige Regelungen, aber auch Änderungen der Reform wirken sich zugunsten von Frauen aus.

Die Erhöhung der Mindestrentenbeträge auf 85 % des Netto-Mindestlohns kann zu einer Verbesserung ihrer wirtschaftlichen Situation beitragen. Manche Frauen dürften jedoch von der Erhöhung nicht profitieren, weil Voraussetzung u.a. der Nachweis einer Versicherungszeit ist, die zum Bezug einer Rente zum vollen Geldwert berechtigt (dazu gleich).

Es ist nicht zu verkennen, dass von einigen gleichgestellten Zeiten, die sowohl für Frauen als auch Männer gelten, faktisch eher Frauen profitieren, allerdings vor allem deshalb, weil sie die damit verbundenen Lasten tragen, z.B. Anrechnung von Versicherungszeiten wegen Erziehungsurlaub (Art. L 351-5 CSS), Kindererziehungszeiten (Art. L 351-4 Ziff. II Abs. 1 und R 351-3 Abs. 1 Nr. 3 CSS), Erziehung eines Kindes mit Behinderungen (Art. L 351-4-1 CSS) oder Betreuung eines erwachsenen Angehörigen mit Behinderungen (Art. L 351-4-2 CSS). Daraus resultierende Nachteile im Berufsleben werden in der Altersversicherung nur unvollkommen ausgeglichen. Die in der Reform 2023 speziell für Frauen eingeführten Verbesserungen, sind kaum geeignet, die bestehenden Nachteile nennenswert zu mindern.

Unverändert wird Müttern für die Zeit der Schwangerschaft und Niederkunft eine Versicherungszeit von vier Trimestern (einem Jahr) gutgeschrieben (Art. L 351-4 Abs. 1 CSS). Veränderungen wurden bei der Aufteilung der Erziehungszeiten zwischen beiden Elternteilen zugunsten der Mütter angeordnet.

Das französische Recht stellt Kindererziehungszeiten den Beitragszeiten gleich (Art. L 351-4 Ziff. II Abs. 1 und R 351-3 Abs. 1 Nr. 3 CSS). Gemäß Art. L 351-4 Ziff. II CSS werden sie innerhalb der ersten vier Jahre nach der Geburt oder Adoption berücksichtigt. Die Anrechnung ist auf ein Jahr («quatre trimestres») für jedes Kind begrenzt.

Grundsätzlich kann jeder Elternteil, der das Kind erzogen hat, die zusätzliche Versicherungszeit beanspruchen. Haben beide Elternteile das Kind erzogen, konnten sie frei vereinbaren, wem die Kindererziehungszeit gutgeschrieben werden soll. Sie konnten die Zeit auch untereinander aufteilen. Nun hat Art. 13 des Reformgesetzes 2023 in Art. L 351-4 Ziff. II Abs. 2 CSS einen zweiten Satz zugunsten der Mütter angefügt. Er bestimmt, dass der Mutter immer zwei Trimester (sechs Monate) zuzuordnen sind.

Eine gleiche Regelung hat Art. 14 des Reformgesetzes für den Fall einer Adoption eingeführt. In Art. 531-4 Ziff. III Abs. 2 CSS wurde Satz 2 angefügt. Er bestimmt, dass bei Aufteilung der Versicherungszeit von vier Trimestern zwischen den Adoptiveltern der Mutter immer zwei Trimester zugeordnet werden.

Art. 15 des Reformgesetzes 2023 hat zwei weitere Absätze in Art. L 351-4 Ziff. VI CSS eingefügt, die Frauen und Männer in gleicher Weise berühren. Danach ändert sich die Zuordnung der zusätzlichen Versicherungszeit nicht dadurch, dass das leibliche oder adoptierte Kinder innerhalb von vier Jahren nach der Geburt oder Adoption verstirbt. Eine wegen Ermordung des Kindes verurteilte Mutter oder ein verurteilter Vater verlieren den Anspruch auf die zusätzliche Anrechnung.

4.5 Erhöhung des Rentenzahlbetrages durch weiteren Kinderzuschlag

Der Geldwert des Rechts auf eine Altersrente kann sich durch verschiedene Zuschläge («surcotés») erhöhen. Schon bisher sieht das Gesetz Kinderzuschläge vor. Der Geldwert des Rechts auf eine Altersrente erhöht sich um eine «bonification pour enfants». Begünstigt sind Versicherte, die mindestens drei Kinder haben, für die sie unterhaltspflichtig gewesen sind. Gleiches gilt für Versicherte, die ein Kind bis zu dessen 16. Lebensjahr während der Dauer von mindestens neun Jahren erzogen haben (Art. L 351-12, L 342-4 und R 342-2 CSS). Es wird ein Zuschlag von 10 % auf den Rentenzahlbetrag gewährt (Art. R 351-30, a.a.O.).

Das Reformgesetz 2023 (Art. 11 Ziff. I Nr. 7) hat mit Art. L 351-1-2-1 CSS einen weiteren Zuschlag eingeführt. Die Reform knüpft an die Fälle an, in denen die Mutter wegen Mutterschaft oder ein Elternteil wegen Kindererziehung oder Erziehungsurlaub eine Verlängerung der Versicherungszeit beanspruchen kann (Art. L 351-4, L 351-4-1 oder L 351-5 CSS). Gewährt wird der Zuschlag für Rentenbezieherinnen und Rentenbezieher, die das 63. Lebensjahr vollendet haben und denen wegen der genannten Tatbestände ein weitere Versicherungszeit von wenigstens einem Monat gewährt wird. Aus dem Verweis auf Art. L 351-1-2 CSS folgt, dass der prozentuale Zuschlag der gleiche ist, um den sich der Rentenzahlbetrag bei einer späteren Antragstellung, also nach Vollendung des gesetzlichen Zugangsalters, erhöht. Ab 1.9.2009 erfolgt ein Zuschlag von 1,25 % pro Trimester (Art. D 351-1-4 Abs. 2 CSS – in der französischen Zählweise wohl Abs. 5 -). Dieser Zuschlag wird der Mutter oder dem Vater gewährt, wenn sie einen der o.a. Tatbestände erfüllen. Aus der Bezugnahme auf das Jahr vor Vollendung des 64. Lebensjahres folgt, dass vier Trimester (ein Jahr) einzustellen sind, der Rentenzahlbetrag sich also um 4 x 1,25 % = 5 % erhöht.

4.6 Modifizierte Vorschriften zur Einbeziehung in die Altersversicherung

Der Kreis der Personen, die in den Sozialversicherungen und damit auch in der Altersversicherung pflichtversichert sind, wird generell in den Art. L 311-1 und 311-2 CSS bestimmt (z.B. Arbeitnehmer, arbeitnehmerähnliche Personen, mithelfende Ehegatten, Arbeitslose). Schon nach bisherigem Recht sind kraft einer Sonderreglung weitere Personen in der Altersversicherung pflichtversichert. Bis Ende August 2023 listet Art. L 381-1 CSS den Kreis der Betroffenen auf. Kennzeichnend ist, dass Personen einbezogen werden, die vorübergehend nicht erwerbstätig sind, weil sie familiäre Aufgaben erfüllen. Dabei sind zwei Gruppen zu unterscheiden: Einbezogen werden zum einen Eltern, die Ihre berufliche Tätigkeit ganz oder teilweise wegen Geburt, Erziehung ihrer Kinder oder Betreuung kranker Kinder unterbrechen (Abs. 1 bis 3 a.a.O.), und zum anderen Personen, die Angehörige mit Behinderungen betreuen (Abs. 4 bis 9 – in der deutschen Zählweise wohl Abs. 4 bis 7 -). Mit Blick auf den einbezogenen Personenkreis spricht man von einer «assurance vieillesse des parents au foyer» (AVPF) 23 23 Service public : «S’occuper d’un enfant ou d’un proche: quels effets sur la retraite (AVPF)?», vérifié le 01 janvier 2023, www.service-public.fr/particuliers/vosdroits/F2574. .

Art. 25 Ziff. I Nr. 5 Buchst. b des Reformgesetzes 2023 hat die Regelungen nicht grundsätzlich geändert, aber mit Wirkung zum 1.9.2023 neu strukturiert. Die Abs. 3 bis 9 des Art. L 381-1 CSS wurden aufgehoben, nach Art. L 381-2 CSS übertragen und um eine Variante ergänzt. Ab 1.9.2023 werden weitere Personengruppe in die Altersversicherung einbezogen.

Wie bisher begünstigt Art. L 381-1 Abs. 1 und 2 CSS Alleinstehende oder ein Mitglied eines Paares, wenn sie folgende Familienleistungen beziehen:

  • einen «complément familial» (Auffüllbetrag zum Kindergeld, Art. L 522-1 CSS),
  • eine «allocation de base de la prestation d’accueil du jeune enfant» (Basisleistung nach der Geburt eines Kindes, Art. L 531-1 Abs. 2 Nr. 2 CSS) oder
  • eine «prestation partagée d’éducation de l’enfant» (Erziehungsgeld bzw. Elterngeld i.S.d. deutschen Rechts, Art. L 531-1 Abs. 2 Nr. 3 und L 531-4 CSS).

Auf die weiteren Voraussetzungen (Einkommensgrenzen, Alter der Kinder) ist hier nicht einzugehen.

Die nach Art. L 381-2 CSS übertragenen Tatbestände entsprechen bis auf eine Ausnahme den bisherigen Regelungen in Art. L381-1, a.a.O.:

  • Art. L 381-2-Abs. 1 CSS werden Personen einbezogen, die wegen Erkrankung ihres Kindes einen arbeitsrechtlichen Freistellungsanspruch haben und eine «allocation journalière de présence parentale» beziehen (Tagegeld bei Erkrankung des Kindes, Art. L 544-1 ff. CSS).
  • L 381-2-Abs. 2 CSS begünstigt Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, die erwachsene Angehörige zu Hause pflegen. Voraussetzung ist, dass sie einen arbeitsrechtlichen Freistellungsanspruch i.S. des Art. L 3142-16 Code du travail (C trav) haben. Das Gesetz bezeichnet die Freistellung als «congé de proche aidant». Es ist nicht zwingend, dass sie während der Freistellung auch das Recht auf ein „Tagegeld für pflegende Angehörige“ («l’allocation journalière du proche aidant») i.S. des Art. L 168-8 CSS haben. Auch Selbständige, die im allgemeinen System der sozialen Sicherheit versichert sind (Art. L 611-1 CSS), werden in der Altersversicherung für die Zeit pflichtversichert, in der sie nahe Angehörige, pflegen (Art. L 381-2-Abs. 3 CSS).
  • Der bis 31.8.2023 geltende Art. L 381-1 Abs. 9 Nr. 2 CSS (in der deutschen Zählweise wohl Abs. 7) begünstigt auch Personen, die nicht als Arbeitnehmerin oder Arbeitnehmer das Recht auf einen «congé de proche aidant» haben. Voraussetzung ist, dass sie einen erwachsenen Angehörigen zu Hause pflegen und die «commission des droits et de l’autonomie des personnes handicapées» (dazu Art. L 146-9 Code de l’action sociale et des familles – CASF -) anerkannt hat, dass der Zustand des oder der Angehörigen die Notwendigkeit oder Anwesenheit einer Betreuung erfordert. Bei der zu pflegenden/zu betreuenden Person muss es sich um Ehefrau, Ehemann, Partnerin oder Partner einer eingetragenen Lebensgemeinschaft («pacte civil de solidarité», PACS), Verwandten auf- und absteigender Linie oder Seitenlinie oder um entsprechende Personen des anderen Teils eines Paares handeln. Die Behinderung muss mit mindestens 80 % bewertet worden sein. Das folgt aus dem Verweis auf die Regeln bei Betreuung eines behinderten Kindes. Das Reformgesetz vom 14.4.2023 hat die Regelungen ab 1.9.2023 nach Art. L 381-2 Abs. 5 Nr. 3 CSS übertragen. Der Text wurde sprachlich vereinfacht, ohne dass in der Sache eine Änderung erfolgte.

Ferner werden Alleinstehende oder ein Elternteil begünstigt, die für ein Kind mit Behinderung zu sorgen haben. Dabei ist zwischen zwei Varianten zu unterscheiden.

  • Die Regelung des bisherigen Art. L 381-1 Abs. 9 Nr. 1 CSS (in der deutschen Zählweise wohl Abs. 7) wurde nach Art. L 381-2 Abs. 5 Nr. 1 CSS übertragen. Alleinstehende oder ein Elternteil eines Paares werden einbezogen, wenn das Kind nicht in einem Internat untergebracht ist, sie nicht berufstätig sind oder nur eine Teilzeitbeschäftigung ausüben, die Behinderung mit einem Mindestprozentsatz bewertet worden ist und das Kind nicht die Altersgrenze für die Gewährung einer «allocation d’éducation de l’enfant handicapé» (AEEH, dazu Art. L 541-1 CSS) erreicht hat, also unter 20 Jahre alt ist (Art. R 512-2 Abs. 1 CSS). Nach Art. D 381-3 Abs. 1 CSS muss die Behinderung mit mindestens 80 % bewertet worden sein.
  • 25 Ziff. I Nr. 5 Buchst. b des Reformgesetzes 2023 hat eine weitere Variante eingefügt. Nach Art. L 381-2 Abs. 5 Nr. 2 CSS werden Alleinstehende oder ein Elternteil auch dann einbezogen, wenn sie die Voraussetzungen für den Bezug eines «complément de l’allocation d’éducation de l’enfant handicapé» (Zuschuss zur Erziehungsbeihilfe für Kinder mit Behinderungen) erfüllen, wie er in Art. L 541-1 Abs. 2 CSS vorgesehen ist. Der Zuschuss wird gewährt, wenn Art oder Schwere der Behinderung besonders kostspielige Aufwendungen verursachen oder häufig die Hilfe einer dritten Person in Anspruch genommen werden muss.

Die organisations- und beitragsrechtlichen Vorschriften, die die Konkretisierungen auf Verordnungsebene vornehmen, hat das Dekret vom 10.8.2023 24 24 Décret n° 2023-752 du 10 août 2023 relatif à la revalorisation des minima de pension, à la pension d’orphelin, à l’allocation de solidarité aux personnes âgées et à l’assurance vieillesse des aidants (Art. 3 Nr. 5), JORF n°0185 du 11 août 2023, texte n° 28. modifiziert. Hierauf wird nicht näher eingegangen.

4.7 Erhöhung des Mindestrentenbetrages

Beziehen Versicherte trotz der Geldwertfestsetzung ihres Rechts auf Altersrente nach dem «taux plein» nur eine relativ niedrige Rente, wird ihnen unter bestimmten Voraussetzungen eine Mindestrente («pension minimale») garantiert. Das Reformgesetz 2023 hat die bereits bestehenden Regelungen verbessert.

4.7.1 «Minimum contributif» und «minimum contributif majoré»

Die Mindestrente war durch das Gesetz vom 31.5.1983 25 25 Loi n 83-430 31 mai 1983 portant diverses mesures relatives aux prestations de vieillesse, JORF du 1 Juin 1983, p. 1639. eingeführt worden und gewährte den Versicherten unter bestimmten Voraussetzungen einen Mindestzahlbetrag («montant minimum de pension»). Er wird auch als «minimum contributif» bezeichnet, um ihn von den bis 2004 bestehenden verschiedenen Regelungen zum «minimum vieillesse» abzugrenzen, die durch die beitragsunabhängige, aber einkommensabhängige «allocation de solidarité aux personnes agées» ersetzt wurden (Art. L 815-1 CSS).

Die Regelungen zum «minimum contributif» finden sich in Art. L 351-10 CSS. Ausgehend von dem in Art. D 351-2-1, a.a.O., für das Jahr 2008 festgesetzten Geldwert erhöhte sich dieser durch jährliche Anpassungen zum 1.1.2023 – ohne Zuschläge – auf jährlich 8 209,61 EUR (652,60 EUR mtl.) 26 26 Service public :«Minimum contributif: le plafond mensuel des retraites personnelles révisé», publié le 06 janvier, 2023, www.service-public.fr/particuliers/actualites/A15703. Loi n 83-430 31 mai 1983 portant diverses mesures relatives aux prestations de vieillesse, JORF du 1er Juin 1983, p. 1639. Art. L 351-10 Abs. 1 Satz 2 CSS sieht einen Zuschlag vor. Man spricht auch vom «minimum contributif majoré» 27 27 Borgetto, Lafore, a.a.O, S. 643 f. (Rdnr. 788). . Gem. Art. D 352-2-2 a.a.O. ist Voraussetzung, dass die Versicherten eine Beitragszeit von mindestens 120 Trimestern (40 Monaten) nachweisen können (gleichgestellte Zeiten bleiben außer Betracht). Durch jährliche Anpassungen erhöhte er sich zum 1.1.2023 auf jährlich 8 970,86 EUR (mtl. 747,57 EUR) 28 28 Service public, s. Fn. 26. . Im Zuge der Rentenreform erhöhte das Dekret vom 10.8.2023 den Geldwert des «minimum contributif» auf 8 509,61 EUR (mtl. 709,13 EUR) und den des «minimum contributif majoré» 10 170,81 EUR (mtl. 847,57 EUR) jeweils zum 1.9.2023. Zugleich wurde die Beitragszeit für Gewährung des «minimum contributif majoré» auf 24 Monate gesenkt 29 29 Décret n° 2023-754 du 10 août 2023 portant application des articles 18 et 25 de la loi du 14 avril 2023 de financement rectificative de la sécurité sociale pour 2023 relatifs à la revalorisation des minima de pension, à la pension d’orphelin, à l’allocation de solidarité aux personnes âgées et à l’assurance vieillesse des aidants (Art. 2 Nr. 2 Buchst. a und b sowie Nr. 3 Buchst. a), JORF n°0185 du 11 août 2023, texte n° 30. .

Der Geldwert des «minimum contributif» bzw. des «minimum contributif majoré» erhöht sich ggf. noch um Zuschläge, die für Kinder, unterhaltsberechtigte Partner oder behinderte Arbeitnehmer, die eine vorgezogene Altersrente beantragen können, gewährt werden (Art. L 351-10 Abs. 2 und 3 und D 351-2-1 Abs. 6 CSS).

4.7.2 Mindestrente ab 1.9.2023

Als generelles Ziel des «minimum contributif» hatte das Gesetz vom 21.8.2003 30 30 Loi n° 2003-775 du 21 août 2003 portant réforme des retraites (Art. 4), JORF n° 193 du 22 août 2003, texte n° 1. vorgegeben, dass Versicherte, die Vollzeitbeschäftigungen ausgeübt haben und eine Versicherungszeit nachweisen, die zum Bezug einer Rente zum vollen Geldwert berechtigt, eine Mindestrente in Höhe von 85 % des Mindeststundenlohns beanspruchen könnten. Dieses Ziel wurde nicht erreicht. Deshalb kündigte die Regierung an 31 31 Pour nos retraites : Un projet de justice, d’équilibre et de progrès (dort unter «Un projet porteur de progrès/Augmenter la pension minimale», https://travail-emploi.gouv.fr/IMG/pdf/dossier-presse-pour-nos-retraites-2023-01-10_accessible.pdf. , der Geldwert der Mindestrente werde sich künftig am gesetzlichen Mindestlohn orientieren. Der Rentenwert werde 85 % des monatlichen Netto-Mindestlohns betragen und 2023 zu einer Erhöhung der Mindestrente auf 1 200 EUR führen.

Die Ankündigung wurde in Art. 18 Ziff. I Nr. 1 Buchst. a des Reformgesetzes 2023 umgesetzt, der entsprechende Einfügungen in Art. L 114-4 CSS anordnet. Nach dessen Ziff. II Nr. 4 hat das «comité de suivi des retraites» zu prüfen, ob der gem. Art. L 351-10 Abs. 1 garantierte Mindestrentenbetrag zu einer monatlichen Bruttorente in Höhe von mindestens 85 % des monatlichen Netto-Mindestlohns führt, wenn die Versicherten durchgehend in einer Vollzeitbeschäftigung den gesetzlichen Mindestlohn erzielt haben und eine Versicherungszeit nachweisen, die zum Bezug einer Rente zum vollen Geldwert berechtigt (172 Trimester = 43 Jahre).

Ab 1.1.2023 betrug der Mindeststundenlohn 11,27 EUR 32 32 Décret n° 2022-1608 du 22 décembre 2022 portant relèvement du salaire minimum de croissance, JORF n°0297 du 23 décembre 2022, texte n° 36. . Die Anordnung vom 26.4.2023 33 33 Arrêté du 26 avril 2023 relatif au relèvement du salaire minimum de croissance (Art. 2), JORF n°0099 du 27 avril 2023, texte n° 19. hat ihn ab 1.5.2023 auf 11,52 EUR erhöht. Von diesem Betrag ist auszugehen, da die neue Regelung ab 1.9.2023 anzuwenden ist. Bei künftigen jährlichen Anpassungen ist dagegen vom Mindestlohn auszugehen, wie er zum Ersten eines jeden Jahres festgesetzt wird (Art. L 351-10 Abs. 4 CSS). Zz. (Stand: 13.11.2023) beträgt der monatliche Mindestverdienst 1 747,20 EUR brutto (11,52 EUR x 35 x 13 ÷ 3). Das entspricht einem monatlichen Netto-Mindestlohn von 1 383,08 EUR 34 34 Service public : «Smic (salaire minimum de croissance)», vérifié le 01 mai 2023, www.service-public.fr/particuliers/vosdroits/F2300. , so dass die Mindestrente ab 1.9.2023 rd. 1 175, 62 EUR beträgt (1 383,08 EUR x 85 %).

4.8 Hinzuverdienst während des Rentenbezugs («cumul emploi-retraite»)

Art. L 161-22 Abs. 1 CSS macht die Auszahlung von Renten, die nach dem 31.3.1983 gewährt werden, davon abhängig, dass der Rentner oder die Rentnerin die letzte Arbeitnehmertätigkeit aufgibt. Eine solche Regelung war erstmals durch die Ordonnance vom 30.3.1982 eingeführt worden und zum 1.4.1983 in Kraft getreten 35 35 Ordonnance du 30 mars 1982 relative à la limitation des possibilités de cumuls entre pensions de retraite et revenus d’activités (Art. 1 und 6), JORF du 31 mars 1982, p. 983. . Der CC 36 36 CC, décision n° 83-156 DC du 28 mai 1983 (cons. 4-6). hat in der Bedingung, eine zuvor ausgeübte Tätigkeit aufgeben zu müssen, keinen Verstoß gegen die Berufsfreiheit und den Gleichheitssatz gesehen. Nach der Neukodifikation des CSS im Jahre 1985 wurde die Regelung in Art. L 161-22 a.a.O. übernommen und mehrfach geändert. Das Datum, an dem die genannte Ordonnance in Kraft getreten ist, erklärt, warum die Gesetzesfassung auf Tätigkeiten nach dem 31.3.1983 abstellt. Die zulässige Ausübung einer selbständigen Tätigkeit wird ab 1.9.2023 in den für diese Berufsgruppen geltenden Vorschriften geregelt (vgl. Art. L 634-6, L 643-6) 37 37 Loi n° 2023-270 du 14 avril 2023 de financement rectificative de la sécurité sociale pour 2023 (Art. 26 Ziff. I Nr. 3 Buchst. a und Nr. 18), JORF n°0089 du 15 avril 2023, texte n° 1. . Die weiteren Ausführungen beschränken sich auf die Ausübung einer abhängigen Beschäftigung.

Den Versicherten wird nicht dauerhaft die Ausübung einer Beschäftigung neben dem Bezug einer Altersrente untersagt. Sie können nach der erfolgten Bewilligung eine neue Beschäftigung aufnehmen, beim früheren Arbeitgeber jedoch erst nach sechs Monaten (Art L 161-22 Abs. 2 CSS). Dabei müssen zwei alternative Einkommensbegrenzungen beachtet werden. Das Gesamteinkommen aus Zuverdienst und allen bezogenen Renten muss unterhalb des zuletzt erzielten Verdienstes oder unterhalb von 160 % des gesetzlichen Mindestlohns liegen. Bei einer wöchentlichen Arbeitszeit von 35 Stunden und dem Mindeststundenlohn ab 1.5.2023 ergibt sich ein monatlicher Bruttobetrag von 2 795,52 EUR (11,52 EUR x 35 x 13 ÷ 3 x 160 %).

Werden die Einkommensgrenzen überschritten, fällt die Rente oder fallen bei Bezug mehrerer Renten diese nicht sofort weg. Es erfolgt jeweils eine Rentenkürzung entsprechend der Überschreitungsquote (Art. L 161-22 Abs. 3 CSS).

Von diesen Regelungen bestehen Ausnahmen. Uneingeschränkt hinzuverdienen können alle Rentnerinnen und Rentner, denen eine Rentenwertfestsetzung unter Anwendung des «taux plein» garantiert ist (Art. L 161-22 Abs. 4 Buchst. a und b CSS). Ferner listet Art. L 161-22 Abs. 5, a.a.O. (in der französischen Zählweise wohl Abs. 8) noch zahlreiche Personengruppen auf, die uneingeschränkt hinzuverdienen können. Dazu gehören u.a. Artisten, Schriftsteller und Wissenschaftler.

Nach dem bis zum 31.8.2023 geltenden Recht führte der zulässig erzielte Verdienst nicht zu einer neuen Rentenwertfestsetzung (Art. 161-22-1 Abs. 1 CSS), obwohl von ihm Beiträge zur RV einbehalten wurden. Das galt und gilt natürlich nicht für Teilrenten. Die bisherige Benachteiligung wurde durch das Reformgesetz 2023 abgeschafft 38 38 Loi n° 2023-270 du 14 avril 2023 de financement rectificative de la sécurité sociale pour 2023 (Art. 26 Ziff. I Nr. 6), JORF n°0089 du 15 avril 2023, texte n° 1. . Die Verdienste können nunmehr das Recht auf eine zusätzliche Geldwertfestsetzung auf der Basis der seit Rentenbewilligung erzielten Verdienste begründen. Sie hat damit den Charakter einer Zusatzleistung. Die Wertfestsetzung erfolgt nach den allgemeinen Regeln für die Festsetzung des Geldwerts (Art. R 161-19-2 CSS i.d.F. durch das Dekret vom 10.8.2023 39 39 Décret n° 2023-751 du 10 août 2023 relatif au cumul emploi retraite et à la retraite progressive (Art. 2 Nr. 1 Buchst. c Unterbuchst. i), JORF n°0185 du 11 août 2023, fexte n° 27. .

4.9 Änderungen bei vorgezogenen Altersrenten

In Frankreich waren seit 1960 zahlreiche Konzepte zu vorgezogenen Altersrenten («pensions de retraite anticipée») entwickelt worden. Die Thematik wird auch unter den Bezeichnungen «préretraite» oder «les cessations anitcipées d’activité de certains travailleurs salariés» behandelt. Einen umfassenden Überblick über die verschiedenen Konzepte hat die «Direction de l’animation de la recherche, des études et des statistiques» (DARES) veröffentlicht 40 40 «Les cessations anticipées d’acitivité au fil de temps», https://dares.travail-emploi.gouv.fr/IMG/pdf/les_cessations_anticipees_d_activite_au_fil_du_temps.pdf . Mit Blick auf Änderungen durch das Reformgesetz 2023 werden die seit 2016 anwendbaren Modelle betrachtet.

In diesem Zusammenhang ist nicht auf die Leistungen einzugehen, die es Arbeitnehmern/Arbeitnehmerinnen, die Gesundheitsgefahren durch Asbest ausgesetzt waren, ermöglicht, vorzeitig aus dem Erwerbsleben auszuscheiden. Die Regelungen waren durch Art. 41 des Finanzierungsgesetzes 1999 41 41 Loi n° 98-1194 du 23 décembre 1998 de financement de la sécurité sociale pour 1999, JORF n° 300 du 27 décembre 1998, p. 19646. eingeführt worden. Die Betroffenen erhalten keine vorgezogene Altersrente, sondern bis zum Bezug der „normalen“ Altersrente eine besondere Lohnersatzleistung, die «allocation de cessation anticipée des travailleurs de l’amiante» (Acaata). Sie wird aus einem besonderen Fonds finanziert, dem «Fonds de cessation anticipée des travailleurs de l’amiante» (Art. 41 Ziff. III a.a.O.). Die Vorschriften wurden durch das Reformgesetz 2023 nicht geändert.

Die Erhöhung des Rentenzugangsalters auf 64 Jahre gab Anlass zu Änderungen bei den vorgezogenen Altersrenten.

4.9.1 Vorgezogene Rente für langjährig Versicherte («La retraite anticipée pour carrière longue»)

Art. L 351-1-1 CSS sieht ein früheres Rentenzugangsalter vor, wenn eine versicherte Erwerbstätigkeit in jungen Jahren aufgenommen und eine lange Versicherungszeit zurückgelegt wurde. Die Konkretisierungen erfolgen in Art. D 351-1-1 a.a.O. Die Rentenreform 2023 hat die Regelungen zum Zugangsalter geändert.

  • Rechtszustand bis 31.8.2023

Versicherte können eine Altersrente vor Erreichen des Regelalters in Anspruch nehmen, wenn sie in jungen Jahren eine Erwerbstätigkeit aufgenommen hatten und bestimmte versicherungsrechtliche Voraussetzungen erfüllen (Art. L 351-1-1 Satz 1 CSS a.F.).

Für Versicherte, die eine versicherungspflichtige Tätigkeit vor ihrem 20. Lebensjahr aufgenommen hatten, setzt Art. D 351-1-1 Ziff. I CSS a.F. das Zugangsalter auf 60 Jahre herab. Voraussetzung ist, dass sie die für die Anwendung des «taux plein» geforderte Versicherungszeit erfüllen (172 Trimester = 43 Jahre). Darüber hinaus kommt eine Herabsetzung des Zugangsalters auf das 56. bis 59. Lebensjahr für Versicherte in Betracht, die ihre erste Tätigkeit vor dem 16. oder 17. Lebensjahr aufgenommen haben. Die Einzelheiten regelt Art. D 351-1-1 Ziff. II CSS a.F.

In allen drei Fällen ist Voraussetzung, dass die die Versicherten vor Vollendung des 16.,17. oder 20. Lebensjahr fünf oder vier Trimester tätig gewesen sind (Art. D 351-1-3 CSS a.F.).

  • Rechtszustand ab 1.9.2023

Art. 11 Ziff. I Nr. 6 des Reformgesetzes 2023 hat die Zugangsvoraussetzung zu einer vorgezogenen Altersrente für langjährig Versicherte geändert.

Art. L 351-1-1 CSS neuer Fassung (n.F.) stellt nicht – wie bisher – auf drei, sondern vier Altersstufen ab. Der oder die Versicherte darf bei Aufnahme der ersten Erwerbstätigkeit nicht älter als 21 Jahre gewesen sein. Konkretisierungen erfolgen weiterhin auf Verordnungsebene. Dort hat das Dekret vom 3.6.2023 42 42 Décret n° 2023-436 du 3 juin 2023 portant application des articles 10 et 11 de la loi n° 2023-270 du 14 avril 2023 de financement rectificative de la sécurité sociale pour 2023 (Art. 3 Ziff. III Nr. 1), JORF n°0128 du 4 juin 2023, texte n° 16. die entsprechenden Änderungen in Art. D 351-1-1 Ziff. I CSS vorgenommen. Ab 1.9.2023 sind folgende Regelungen anzuwenden:

Bei Aufnahme einer Erwerbstätigkeit vor Vollendung des 16. Lebensjahres, können Versicherte die Rente mit 58 Jahren beanspruchen, vor Vollendung des 18. Lebensjahres mit 60 Jahren, vor Vollendung des 20. Lebensjahres mit 62 Jahren und vor Vollendung des 21. Lebensjahres mit 63 Jahren. Vor Vollendung des jeweiligen Lebensalters müssen die Versicherten – wie bisher – fünf oder vier Trimester tätig gewesen sein (Art. D 351-1-3 Ziff. I CSS n.F.)

Da Versicherte, die ihre erste Tätigkeit vor Vollendung des 20. Lebensjahrs aufgenommen hatten, nach bisherigem Recht die Rente mit Vollendung des 60. Lebensjahres beantragen können, ab 1.9.2023 jedoch erst ab 62. Lebensjahr, sieht die Ziff. II des Art. D 351-1-1 CSS n.F. Übergangsregelungen vor. Danach können Versicherte, die zwischen dem 1.9.1961 und 31.8.1963 geboren wurden, die Rente weiterhin mit 60 Jahren beanspruchen. Wurden sie zwischen dem 1.9.1963 und 31.12.1968 geboren, können sie die Rente mit 61 Jahren und 6 Monaten beantragen. Dem Geburtsjahrgang 1969 steht das Recht mit 61 Jahren und 9 Monaten zu.

4.9.2 Vorgezogene Rente für Menschen mit Behinderungen («La retraite anticipée pour handicap»)

Für Menschen mit Behinderungen sieht Art. L 351-1-3 CSS ein niedrigeres Rentenzugangsalter vor. Die Erwerbsfähigkeit muss um 50 % gemindert sein (Art. L 351-1-3 und D 351-6 CSS, s. auch Art. L 161-21-1 CSS i.d.F. des Art. 11 Nr. des Reformgesetzes 2023). Zugleich musste für die Zeit, in der diese Erwerbsminderung bestand, eine bestimmte Versicherungszeit nachgewiesen sein, für die Beiträge „ganz oder teilweise“ («tout ou partie de cette durée») gezahlt wurden. Art. 11 Ziff. I Nr. 8 des Reformgesetzes 2023 hat die Tatbestandsmerkmale «tout ou partie de» aufgehoben, d.h., nunmehr müssen durchgehend Beiträge gezahlt worden sein. Zugangsalter und Versicherungszeit werden durch Dekret festgelegt.

Nach Art. D 351-1-5 Ziff. I CSS a.F. konnte die Rente zwischen dem 55. und 60. Lebensjahr in Anspruch genommen werden. Je mehr Zeiten nachgewiesen wurden, desto niedriger war das Zugangsalter. Das Dekret vom 3.6.2023 43 43 Décret n° 2023-436 du 3 juin 2023 portant application des articles 10 et 11 de la loi n° 2023-270 du 14 avril 2023 de financement rectificative de la sécurité sociale pour 2023 (Art. 4 Ziff. II Nr. 2), JORF n°0128 du 4 juin 2023, texte n° 16. hat die Norm modifiziert. Grundsätzlich wird an der bisherigen Regelung festgehalten, allerdings wird wegen der erforderlichen Versicherungszeiten zwischen Versicherten differenziert, die vor und nach dem 1.1.1973 geboren wurden. Die umfangreiche detaillierte Ausgestaltung in Art. D 351-1-5 CSS kann hier nicht wiedergegeben werden.

4.9.3 Vorgezogene Rente bei Berufskrankheit oder Arbeitsunfall («La retraite anticipé pour incapacité permanente»)

Eine Senkung der gesetzlichen Rentenaltersgrenze sieht Art. L 351-1-4 Ziff. I CSS für alle Versicherten vor, die an einer Berufskrankheit i.S. des Art. L 461-1, a.a.O. leiden oder einen Arbeitsunfall i.S. des Art. L 411-1, a.a.O. erlitten haben. Das Zugangsalter wird auf 60 Jahre gesenkt (Art. D 351-1-8 a.a.O.). Der Text nennt nicht die Opfer eines Wegeunfalls, so dass dieser Versicherungsfall nicht einbezogen wird.

Art. 17 Ziff. I Nr. 2 Buchst. a des Reformgesetzes 2023 hat das bisherige Recht modifiziert. Die Regelungen sind am Tag nach der Verkündung, also am 16.4.2023, in Kraft getreten.

Art. L 351-1-4 Ziff. I CSS n.F. überlässt es nicht mehr einem Dekret (ex-Art. D 351-1-8 a.a.O.), das herabgesetzte Alter zu bestimmen, sondern setzt es mit 60 Jahren fest. Der Prozentsatz der dauerhaften Minderung der Erwerbsfähigkeit («le taux d’incapacité permanente») wird weiterhin durch Dekret bestimmt. Das «décret simple» vom 3.6.2023 44 44 Décret n° 2023-436 du 3 juin 2023 portant application des articles 10 et 11 de la loi n° 2023-270 du 14 avril 2023 de financement rectificative de la sécurité sociale pour 2023, JORF n°0128 du 4 juin 2023, texte n° 16. enthält keine Regelung zu Art. 17 des Reformgesetzes 2023, so dass es bei der bisherigen Regelung bleibt. Gem. Art. D 351-1-9, a.a.O. muss die Erwerbsfähigkeit um mindestens 20 % gemindert (MdE) sein. Die Minderungsgrade aus mehreren Versicherungsfällen, in denen jeweils eine MdE von mindestens 10 % festgestellt wurde, können addiert werden.

Art. 17 Ziff. I Nr. 2 Buchst. b des Reformgesetzes 2023 hat die Ziff. III des Art. L 351-1-4 Ziff. I CSS reformiert. Die Vorschrift regelt die Fälle, in denen die vorgezogene Rente auch dann beansprucht werden kann, wenn eine MdE von weniger als 20 % festgestellt worden ist.

Schon in seiner bisherigen Fassung sah Art. L 353-1-4 Ziff. III Nr.1 Abs. 1 CSS vor, dass die vorgezogene Altersrente auch dann bezogen werden konnte, wenn durch eine Berufskrankheit oder einen Arbeitsunfall eine niedrigere MdE verursacht worden war, als sie Ziff. I, a.a.O., vorsieht. Nach Art. D 351-1-10 a.a.O. genügt eine MdE von 10 %. Allerdings galt das nur unter eingeschränkten Voraussetzungen. Die vorgezogene Altersrente konnte nur in Anspruch genommen werden, wenn

  • die MdE mindestens 10 % betrug (Nr. 1) oder
  • der oder die Versicherte während einer bestimmten Anzahl von Jahren, die durch Dekret festzusetzen waren, einem oder mehreren beruflichen Risikofaktoren («un ou plusieurs facteurs de risques professionnels») ausgesetzt war, wie sie in Art. L 4161-1 C trav aufgeführt werden (Nr. 2); Art. D 351-10 CSS bestimmt die Expositionsdauer mit 17 Jahren oder
  • festgestellt werden konnte, dass die dauerhafte Erwerbsminderung direkt auf die Exposition gegenüber den aufgeführten Berufsrisiken zurückzuführen war (Nr. 3).

Nach Art. L 353-1-4 Ziff. III Nr.1 Abs. 4, in der französischen Zählweise wohl Abs. 6 CSS, werden in den zuvor genannten Fällen der Nr. 2 und 3 die in Art. L 4161-1 Nr. 1 und Nr. 2 Buchst. a C trav genannten Risikofaktoren nicht berücksichtigt. Welche Faktoren dadurch betroffen sind, listet die Anordnung vom 26.12.2017 auf 45 45 Arrêté du 26 décembre 2017 fixant la liste des maladies professionnelles mentionnées aux articles L. 351-1-4 du code de la sécurité sociale et L. 732-18-3 du code rural et de la pêche maritime, JORF n°0303 du 29 décembre 2017, texte n° 58. .

Das Reformgesetz 2023 (Art. 17 Ziff. III Nr. 2 Buchst. b) hat die bisherigen Regelungen übernommen. Allerdings kann die vorgezogene Rente bei einer MdE von 10 % bis unter 20 % erst mit Vollendung des 62. Lebensjahres beantragt werden kann. Denn in einem solchen Fall mindert sich das jetzt „normale“ Zugangsalter von 64 Jahren um 2 Jahre (Art. L 351-4 Ziff. III Abs. 1 CSS n.F.).

4.9.4 Vorgezogene Rente wegen Arbeitsunfähigkeit oder dauernder Erwerbsminderung («La retraite anticipée pour inaptude au travail ou incapacité permanente»)

Art. 11 Ziff. I Nr. 9 des Reformgesetzes 2023 hat mit Art. L 351-1-5 CSS eine weitere vorgezogene Altersrente eingeführt. Danach wird das Regelzugangsalter gesenkt, wenn Versicherte arbeitsunfähig («inaptes au travail dans les conditions prévues à l’article L.351-7 CSS») sind oder einen festgelegten Grad der Behinderung besitzen («ou justifiant d’une incapacité permanente au moins égale à un taux fixé par décret»).

Nach Art. L 351-7 CSS sind Versicherte «inaptes au travail», wenn sie nicht in der Lage sind, die bisherige Beschäftigung ohne eine ernsthafte Gefährdung ihrer Gesundheit auszuführen bzw. wieder aufzunehmen. Eine vergleichbare Definition findet sich in Art. L 1226-2 Abs. 1 C trav. Der Begriff «l’incapacité de travail» wird sowohl in der Kranken- als auch Unfallversicherung gebraucht (Art. L 321-1n L 431-1 und L 433-1 CSS). Nach der Rechtsprechung der «Cour de cassation» beinhaltet die «incapacité» i.S. dieser Vorschriften nicht nur die Unfähigkeit, die zuletzt ausgeübte Tätigkeit wieder aufzunehmen, sondern das Unvermögen, irgendeine abhängige Beschäftigung auszuführen. Der Ausdruck «l’incapacité permanente» lässt sich daher mit „dauerhafter Minderung der Erwerbsfähigkeit“ (MdE) übersetzen. Diese Variante einer vorgezogenen Altersrente greift, wenn die MdE nicht Folge eines Arbeitsunfalls oder Berufskrankheit ist, also nicht schon von dem zuvor angesprochenen Anwendungsfall einer vorgezogenen Rente erfasst wird.

Nach Art. D 351-1-14 CSS i.d.F durch das Dekret Nr. 2023-436 vom 3.6.2023 46 46 Décret n° 2023-436 du 3 juin 2023 portant application des articles 10 et 11 de la loi n° 2023-270 du 14 avril 2023 de financement rectificative de la sécurité sociale pour 2023 (Art. 6 Ziff. II Nr. 4), JORF n°0128 du 4 juin 2023, texte n° 16. können die Berechtigten die Rente mit 62 Jahren in Anspruch nehmen. Der Prozentsatz der «incapacité permanente» wird mit 50% festgesetzt (Art. R 351-21 Abs. 2 CSS).

4.10 Änderungen bei Teilrenten

Wie das deutsche Rentenversicherungsrecht (§ 42 SGB VI) sieht auch das französische Recht die Gewährung von Teilrenten vor. Das Gesetz vom 1.1.1988 47 47 Loi n° 88-16 du 5 janvier 1988 relative à la sécurité sociale, JORF du 6 janvier 1988, p. 224. ermöglichte die Inanspruchnahme eines flexiblen Ruhestandes («la retraite progressive»). Die einschlägigen Vorschriften fanden sich bis zum 31.8.2023 in den Art. L 351-15 und L 351-16 CSS. Das Reformgesetz 2023 (Art. 26 Ziff. I Nr. 7 und 14 sowie Ziff. XII Nr.1) hat sie aufgehoben und in den Art. 161-22-1-5 ff. CSS mit Wirkung zum 1.9.2023 neu gefasst. Konkretisierungen erfolgen auf Verordnungsebene.Gem. Art. R 161-19-7 Ziff. I Nr. 1 CSS i.d.F. des Dekrets vom 10.8.2023 48 48 Décret n° 2023-751 du 10 août 2023 relatif au cumul emploi retraite et à la retraite progressive (Art. 2 Nr. 1 Buchst. ii), JORF n°0185 du 11 août 2023, texte n° 27. müssen die Arbeitnehmerin oder der Arbeitnehmer eine Vereinbarung über den Übergang von einer Vollzeitbeschäftigung («travail à temps complet») in eine Teilzeitbeschäftigung («travail à temps partiel») vorlegen. Nach Art. R 161-19-5 a.a.O. i.d.F. dieses Dekrets muss eine Versicherungszeit von 150 Trimestern (37,5 Monaten) nachgewiesen werden. Art. D 161-2-24 a.a.O. i.d.F. des weiteren Dekrets vom 10.8.2023   49 49 Décret n° 2023-753 du 10 août 2023 portant application de l’article 26 de la loi n° 2023-270 du 14 avril 2023 de financement rectificative de la sécurité sociale pour 2023 relatif au cumul emploi retraite et à la retraite progressive (Art. 3 Nr. 2 Buchst. f), JORF n°0185 du 11 août 2023, texte n° 29. bestimmt das Zugangsalter mit 62 Jahren (zwei Jahre unter dem gesetzlichen Zugangsalter für eine Altersrente).

Die Versicherten müssen eine Teilzeitbeschäftigung verrichten (Art. L 161-22-1-5 Nr. 1 CSS n.F.). Nach der arbeitsrechtlichen Definition in Art. L 3123-1 C trav muss ihre Arbeitszeit entweder unter der gesetzlichen Arbeitszeit (wöchentlich 35 Stunden, Art. L 3121-27 C trav) oder – falls diese niedriger ist – unter der vertraglich fixierten Arbeitszeit einer Vollzeitbeschäftigung liegen. Die Arbeitszeit in der Teilzeitbeschäftigung darf nicht weniger als 40 % und nicht mehr als 80 % einer Vollzeitbeschäftigung ausmachen (Art. R 161-19-6 Ziff. I CSS n.F.). Das bedeutet in Fällen, in denen die gesetzliche wöchentliche Arbeitszeit von 35 Stunden der Maßstab ist, dass die Arbeitszeit in der Teilzeitbeschäftigung nicht weniger als 14 und nicht mehr als 28 Stunden wöchentlich betragen darf. In der Vereinbarung über die Teilzeitarbeit ist u.a. die wöchentliche Arbeitszeit festzuhalten (Art. L 3123-6 C trav). Im Einzelfall muss die bisherige Arbeitszeit mindestens um 20 %, aber nicht um mehr als 60 % reduziert worden sein (Art. D 161-2-24 Ziff. I Nr. 2 CSS n.F.). Der für die Teilzeitarbeit vereinbarte Verdienst muss mehr als 40 % des gesetzlichen Mindestlohns betragen (Nr. 1, a.a.O.).

4.11 Einführung einer Waisenrente

Das Reformgesetz 2023 hat mit Art. 18 Ziff. I Nr. 3 ein neues Kapitel 50 50 Kapitel VIII im Titel V des III. Buchs des CSS («chapitre VIII du titre V du livre III»). in das Recht der Altersversicherung eingefügt. Erstmals wird Waisen das Recht auf eine Hinterbliebenenrente zugestanden. Die Regelungen finden sich in den Art. L 358-1 ff. CSS. Sie treten zum 1.9.2023 in Kraft (Art. 18 Ziff. VI des Reformgesetzes 2023). Konkretisierungen erfolgen auf Verordnungsebene.

Art. L 358-1 Abs. 1 CSS gewährt der Waise in drei Konstellationen eine Hinterbliebenenrente. Zum einen wird die Rente bei Tod («en cas de décès») des bzw. der Versicherten zuerkannt. Das Gleiche gilt, wenn der bzw. die Versicherte vermisst wird und gerichtlich für tot erklärt wurde («en cas de disparition ayant entraîné une déclaration judiciaire de décès», dazu Art. 88 Code civil – C civ -). Schließlich entsteht das Recht, wenn der bzw. die Versicherte „abwesend“ ist («en cas d’absence); in diesem Fall kann das Gericht zunächst die „Vermutung der Abwesenheit“ («la présomption d’absence») aussprechen und nach zehn Jahren die „Abwesenheit“ feststellen (dazu Art. 112 und 122 C civ).

Der Geldwert der Waisenrente bemisst sich nach einem Prozentsatz des Geldwertes der Rente, die der bzw. die Versicherte erhielt oder hätte beanspruchen können (Art. L 358-1 Abs. 2 CSS). Art. D 358-1 CSS i.d.F. des Dekrets vom 10.8.2023 51 51 Décret n° 2023-754 du 10 août 2023 portant application des articles 18 et 25 de la loi du 14 avril 2023 de financement rectificative de la sécurité sociale pour 2023 relatifs à la revalorisation des minima de pension, à la pension d’orphelin, à l’allocation de solidarité aux personnes âgées et à l’assurance vieillesse des aidants (Art. 2 Nr. 4), JORF n°0185 du 11 août 2023, texte n° 30. bestimmt ihn mit 54 %.

Sind mehrere Waisen leistungsberechtigt, kann der Gesamt-Geldwert der Renten nicht den Geldwert der „Hauptrente“ («la pension principale») übersteigen, also der Rente, welche der oder die Verstorbene bezogen hat oder hätten beanspruchen können. Ggf. ist die „Hauptrente“ zu gleichen Teilen zwischen den Waisen aufzuteilen (Art. L 358-2 CSS). Die Waisenrente darf einen Mindest-Geldwert nicht unterschreiten. Er wird mit 100 EUR brutto festgesetzt (Art. L 358-3 CSS i.V.m. Art. D 358-3 Abs. 1 CSS n.F.).

Die Waisenrente kann grundsätzlich nur bis zur Vollendung des 21. Lebensjahres bezogen werden (Art. L 358-5 Abs. Satz 1 i.V.m. Art. D 358-4 Abs. 1 CSS n.F.). Die Bezugsdauer verlängert sich, wenn das Einkommen der Waise eine bestimmte Obergrenze nicht überschreitet (Art. L 358-5 Abs. 1 Satz 2). Nach Art. D 358-4 Abs. 2 CSS kann sich die Rente um vier Jahre verlängern. Aus dem Verweis auf Art. R 512-2 folgt, dass das monatliche Einkommen der Waise nicht 55 % des gesetzlichen Mindeststundenlohns multipliziert mit 169 überschreiten darf. Der Multiplikator „169“ indiziert, dass die Norm nicht die geltende 35-Stunden-Woche zugrunde legt; denn dann hätten für den Monat 151,67 Stunden (35 x 13 ÷ 3) zugrunde gelegt werden, also ein entsprechender Multiplikator eingesetzt werden müssen. Dagegen entsprechen monatliche 169 Stunden einer 39-Stunden-Woche (169 x 3 ÷ 13), die in Frankreich bis 1982 galt. Es steht dem Gesetzgeber frei, ob er bei Festsetzung der Obergrenze von einer 35- oder 39-Stunden-Woche ausgeht.

Zugrunde zu legen ist das Einkommen, dass in den zwölf Monaten vor Rentenbeginn oder vor der jeweiligen Überprüfung der Voraussetzungen erzielt wurde. Die Waisenrente entfällt, wenn die Obergrenze überschritten wird (Art. D 358-4 Abs. 5 CSS).

5. Zusammenfassung

Die Erhöhung des Rentenzugangsalters von 62 auf 64 Jahre war der Teil der französischen Rentenreform, auf den sich die Diskussion 2023 in erster Linie konzentrierte. Dabei wurde wesentlichen weiteren Änderungen häufig nicht die gebotene Beachtung geschenkt.

So dürfte eine der positivsten Veränderung die Erhöhung des Mindestrentenbetrages sein, auch wenn die hohen versicherungsrechtlichen Voraussetzungen bewirken dürften, dass viele Rentenempfängerinnen und -empfänger nicht in den Genuss der Erhöhung kommen. Des Weiteren sind die teilweise erleichterten Zugänge zu den vorgezogenen Altersrenten zu erwähnen. Ein weiterer positiver „Posten“ der Reform ist die Einführung einer Waisenrente und die Neugestaltung der Teilrente. Die Änderung bei den versicherungsrechtlichen Voraussetzungen für den Bezug eine Rente mit maximaler Lohnersatzquote dürfte von vielen nicht begrüßt worden sein. Schließlich ist negativ festzustellen, dass die Reform die Nachteile von Frauen in der RV nicht nennenswert abgebaut hat.

Mit Inkrafttreten des Reformgesetzes wurden die – zurückhaltend formuliert – lebhaften Diskussionen über die Reform in Frankreich nicht beendet. Die Reform wird auch weiterhin die sozialpolitischen Debatten mit bestimmen.

RVaktuell 3/2023
Wer derzeit vor Erreichen der Regelaltersgrenze in Rente gehen möchte, muss in den meisten Fällen Abschläge in Kauf nehmen. Die Abschläge fließen über den Zugangsfaktor (§77 Sechstes Buch Sozialgesetzbuch - SGB VI) in die Berechnung der monatlichen Rente ein und sind für einige Rentenarten relevant. Dieser Beitrag gibt einen Überblick über die verschiedenen Ansätze zur Berechnung der Abschläge und versucht diese zu kontextualisieren und zu bewerten.

Jetzt lesen

Wir verwenden Cookies, um Ihnen die Inhalte und Funktionen der Website bestmöglich anzubieten. Darüber hinaus verwenden wir Cookies zur Analyse. Weiterführende Informationen erhalten Sie in unseren Datenschutzhinweisen.