Erster Veranstaltungstag
Nach den Begrüßungsreden von Dr. Reinhold Thiede, Leiter der Abteilung Forschung und Entwicklung der deutschen Rentenversicherung Bund, und Tatjana Mika, Leiterin des FDZ-RV, fanden am ersten Tag vier Fachvorträge statt.
Zunächst trugen Stella Martin und Kevin Stabenow von der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster zum Thema „When we’re 64 – Gemeinsames und koordiniertes Renteneintrittsverhalten von Paaren beim Übergang in die Altersrente“ vor. Als Datenbasis für die Untersuchung eines gemeinschaftlichen Renteneintritts verwendeten die beiden Vortragenden das neue FDZ-RV-Datenangebot SOEP-RV, und zwar in der Variante der Verbindung der umfragebezogenen Daten des Sozioökonomischen Panels (SOEP), das vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) in Berlin erhoben wird, mit den Rentenbeständen der Jahre 2018 und 2020. Ein wesentliches Ergebnis der Analysen von Martin und Stabenow war, dass ein gemeinsamer Renteneintritt von Paaren keine signifikante Erhöhung der subjektiven Lebenszufriedenheit bedinge.
Im folgenden Vortrag beschäftigten sich Prof. Dr. Dirk Hofäcker und Björn Seitz von der Universität Duisburg-Essen mit der Arbeitsmarktanbindung älterer Erwerbsgeminderter, und zwar anhand zweier Datensätze: einerseits auf Basis des FDZ-RV-Datensatzes der Versicherungskontenstichprobe (hier aus dem Jahr 2018) und andererseits auf Basis des „lidA“-Datensatzes (lidA = leben in der Arbeit), der an der Bergischen Universität Wuppertal in Kooperation mit der Universität Duisburg-Essen erhoben wird (bislang in den Jahren 2011, 2014 und 2018). Ein wichtiges Ergebnis des Vortrages war, dass eine parallel zum Erwerbsminderungsrentenbezug vorliegende Erwerbstätigkeit für einen substanziellen Anteil der Untersuchungspersonen offenkundig nicht nur aus finanziellen Motiven aufgenommen wurde, sondern dass dafür auch Aspekte der sozialen Einbindung eine große Rolle spielten.
Johannes Soff von der Deutschen Krebsgesellschaft e. V. setzte sich anschließend mit der Rückkehr in den Beruf seitens Rehabilitandinnen und Rehabilitanden – hier speziell bei der Diagnose Brustkrebs – auseinander, wobei er sich von der Datenseite her auf das FDZ-RV-Scientific Use File „Abgeschlossene Rehabilitation im Versicherungsverlauf 2010-2017“ bezog. Als Ergebnisse der längsschnittlich ausgerichteten Untersuchungen zeigten sich u. a., dass 70 % der Patientinnen und Patienten innerhalb von zwei Jahren eine Berufsrückkehr erreichten und dass signifikante Zusammenhänge zwischen einer derartigen Berufsrückkehr auf der einen Seite und soziodemographischen, gesundheitlichen und beruflichen Merkmalen auf der anderen Seite existierten.
Den letzten Vortrag des ersten Veranstaltungstages hielt Dr. Andreas Jansen von der Universität Duisburg-Essen (vom dortigen Institut Arbeit und Qualifikation – IAQ). Sein Thema waren die Auswirkungen von diagnostizierten Erkrankungen auf den Erwerbs- und Einkommensverlauf. Dieser Fragestellung ging Jansen mit SHARE-RV-Daten nach, d. h. mit verknüpften Daten aus der deutschen Teilstichprobe des Survey of Health, Ageing and Retirement in Europe (SHARE) und Längsschnittdaten der Deutschen Rentenversicherung in Form der Versicherungskontenstichprobe. Auf dieser Datenbasis berechnete Jansen sog. Fixed-Effects-Längsschnittregressionen, um die Frage zu beantworten, ob der Fall „Business as usual“ oder „Career killer“ vorliegen würde. Er kam nicht zu eindeutigen empirischen Ergebnissen für die gesamte Untersuchungsgruppe: Bei einem Teil der Untersuchungsgruppe zeigten sich Einkommensverluste im Sinne von „Career killer“, bei einem anderen Teil der Gruppe hingegen Einkommenszuwächse im weiteren Lebensverlauf im Sinne von „Business as usual“. Da diese unterschiedlichen Erwerbsverläufe mit dem Qualifikationsniveau in dem Sinne korrelierten, dass Einkommenszuwächse vornehmlich bei den höher qualifizierten Personen und Einkommensrückgänge eher bei mittel bzw. niedrig qualifizierten Personen beobachtet wurden, konkludierte Jansen, dass sich hier Krankheit als Verstärker von sozialer Ungleichheit zeige.
Zweiter Veranstaltungstag
Nach dem einführenden Vortrag von Katharina Werhan und Daniel Brüggmann vom FDZ-RV zu neuen FDZ-RV-Datenprodukten (zur Einführung sog. DOI-Kennziffern vor allem zum schnellen Auffinden und zur Verbesserung der Zitierbarkeit der FDZ-RV-Datenprodukte, zu einer neu erstellten Zeitreihe zum Erwerbsminderungsrentenbezug sowie zum oben bereits erwähnten SOEP-RV) gab am zweiten Veranstaltungstag Chiara Livraga vom DIW Berlin auf Basis von SOEP-RV-Daten Einblick in ihre Forschungstätigkeit zur längsschnittlichen Einkommensungleichheit in Deutschland. Dabei wurde sehr deutlich, dass die Einkommensungleichheit in Deutschland geringer ist, wenn sie im Vergleich zur Querschnitts-Einkommensungleichheit über den gesamten Biographieverlauf gemessen wird, also im Vergleich zur Einkommensungleichheit zu einem bestimmten Zeitpunkt.
Danach skizzierte Rick Glaubitz von der Freien Universität Berlin korrelative Zusammenhänge zwischen den Variablen Lebenseinkommen, Lebenserwartung und regionaler Gesundheitsversorgung. Für seine Analysen verwendete Glaubitz zum einen Daten der Deutschen Rentenversicherung (Datensatz SK90) sowie zum anderen zwei administrative Datensätze zur regionalen Gesundheitsversorgung in Deutschland. Eines seiner Ergebnisse war ein positiver statistischer Zusammenhang zwischen der Dichte an Hausärztinnen und Hausärzten einerseits und der regionalen durchschnittlichen Lebenserwartung andererseits. Zwischen dem oberen und dem unteren Quintil der Lebenseinkommensverteilung scheinen indes den Glaubitzschen Befunden zufolge keine signifikanten Unterschiede zwischen Gesundheitsangebot und Lebenserwartung zu bestehen.
Den Einfluss des Rentenvermögens auf das Arbeitsangebot von Frauen in Deutschland vor dem Ruhestand diskutierte Dr. Elisabeth Artmann vom Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) in Nürnberg. Ankerpunkt ihrer Analysen war die „Mütterrentenreform“ aus dem Jahr 2014. Dabei bezog sich Artmann auf Frauen in Deutschland, die in der Nähe des relevanten Stichtages 1.1.1992 Kinder geboren hatten. Mit Hilfe der Versicherungskontenstichprobe (aus dem Jahr 2019) und mittels der Integrierten Erwerbsbiographien des IAB zeigten sich gewisse, aber doch eher schwach ausgeprägte Vermögenseffekte, die durch die „Mütterrentenreform“ ausgelöst worden sein könnten. Insbesondere wurde ein stärkerer Arbeitsangebotsrückgang bei den Müttern evident, bei denen sich der Ehepartner relativ nahe am gesetzlichen Renteneintrittsalter befand.
Modellanalytischen Bezug wies der Vortrag von Veronika Püschel von der Universität Regensburg insofern auf, als altersarmutsreduzierende Maßnahmen auf der methodischen Grundlage eines OLG-Modells eruiert wurden (OLG = Overlapped Generations Model). Eingang in das entsprechende Modell fanden dabei auch FDZ-RV-Daten (Versicherungskontenstichprobendaten für die Jahre 2002-2017). Das Hauptergebnis in diesem Zusammenhang war, dass gemäß dem verwendeten Modell Transfers an armutsgefährdete Personen bei Anknüpfen an das Jahreseinkommen größere Wohlfahrtseffekte, d. h. insbesondere größere altersarmutsreduzierende Effekte, zeigten als Maßnahmen, die an das Lebenseinkommen der (armutsgefährdeten) Personen gekoppelt waren.
Nach den spannenden und höchst informativen Fachvorträgen verabschiedete die Leiterin des FDZ-RV, Tatjana Mika, die Tagungsteilnehmerinnen und -teilnehmer. Dabei hob sie die Bedeutung der FDZ-RV-Jahrestagungen für die Deutsche Rentenversicherung Bund hervor, und hier vor allem dahingehend, dass auf diesen Tagungen üblicherweise aus der Nutzendenperspektive Verbesserungspotenzial bei der Aufbereitung der FDZ-RV-Daten aufgezeigt werde. Daher freue sie sich bereits auf die nächste FDZ-RV-Jahrestagung, die voraussichtlich im Jahr 2024 stattfinden wird.